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SRF-Podcast: Piazzolla mit Viola und Gitarre – Chopin auf dem Akkordeon

New CD: Passion on 10 Strings

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A Swiss homage to Andrés Segovia

“While my guitar was gently weeping”

Serenades from the “Biedermeier”

Music from the royal courts of Germany

Chamber Music from Belarus

Flexible Sky – Music For Guitar & String Quartet

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A Swiss Homage to Andrés Segovia

A Swiss Homage to Andrés Segovia

Einleitung

Das Ende eines Jahrhunderts eignet sich dazu, Einblicke in und Bestandesaufnahmen von historischen Ereignissen und Erbschaften an Kulturgütern zu vermitteln.

In der Musik kommen Anthologien über das ausgehende 20. Jahrhundert nur zögernd zustande. Zu sehr ist das Publikum in seinem Hörerwunsch noch auf die Zeit vor dem 20. Jahrhundert fixiert.

Bei der Musik dieses Jahrhunderts stellt sich zum Teil die gleiche Problematik wie bei der Musik aus früheren Zeiten. Soweit sie nicht schon verlegt ist, findet man sie in Bibliotheken. Oft ist es schwierig, aus der Fülle von Material eine Auswahl zu treffen. So gesehen ist die Musik des 20. Jahrhunderts noch weitgehend unerforscht. Auch wenn die Musik schon verlegt ist, wartet sie häufig noch über Jahrzehnte auf Interpreten und Historiker, die sie spielen und in den richtigen historischen Zusammenhang stellen.

Wenn wir die musikalische Entwicklung in der Schweiz betrachten, kommen noch einige Faktoren hinzu, welche der Verbreitung der schweizerischen Musik im Wege stehen oder standen.

Da die Schweiz keine kulturelle Einheit bildet, fehlt ihr eine gewisse Ausstrahlung. Das Land ist von kulturellen Grossmächten umgeben. Auf diese Art und Weise kommt das schweizerische Kulturschaffen möglicherweise nicht genügend zur Geltung, wird gewissermassen von den umringenden Ländern absorbiert. Die Schweiz hat sich zusätzlich, vor allem in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, politisch und dadurch auch kulturell abgesondert. Dies ist einer der Gründe, warum Frank Martin das Land kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen hat.1) Das Niveau des kompositorischen Schaffens in der Schweiz ist mit dem der Nachbarländer durchaus vergleichbar, wie dies aus der vorliegenden Einspielung ohne weiteres ersichtlich ist.

Segovia und die Schweiz

Die Bedeutung Andrés Segovias für die Gitarre in diesem Jahrhundert ist bereits vielseitig dokumentiert worden. Segovia, ein wahrer Kosmopolit, hat in vielen Ländern gewohnt. Ausser in Spanien lebte er in Buenos Aires, Montevideo, New York und für kürzere Zeit in Paris. Ausserdem wohnte Segovia von 1930 bis Anfang 1935 in Genf.2) Er hat Henri Gagnebin, Direktor des Genfer Konservatoriums, in dieser Zeit sogar angeboten, eine Lehrstelle für Gitarre zu übernehmen; ein Projekt, das offensichtlich nicht realisiert wurde.3)

Weniger bekannt ist, dass Segovia, nachdem er 1964 seinen Wohnsitz in New York aufgegeben hatte, sich wieder in Genf niederliess, wo er bis zu seinem Tod 1987 eine feste Adresse hatte. Noch 1981 gab er am Genfer Konservatorium einen Interpretationskurs.

Wo auch immer Segovia war, hat er mit seinem Gitarrenspiel und durch seine persönliche Ausstrahlung Komponisten inspiriert, für das Instrument zu schreiben. Wenn wir an Genf denken, so war es zuerst Frank Martin, der von Segovias Gitarrenspiel begeistert war und für ihn seine «Quatre Pièces Brèves» schrieb. Nach dem Krieg war es Hans Haug, der, von Segovia inspiriert, Stücke für Gitarre komponierte. Auch Gagnebin widmete ihm seine «Trois Pièces». Die Beziehungen zwischen Gagnebin und Segovia entwickelten sich weiter. Auf Anregung Segovias nahm Gagnebin in seiner Funktion als Präsident des Internationalen Musikwettbewerbes Genf die Gitarre zum ersten Mal als Instrument im Wettbewerb auf.4) Dieser fand 1956 statt, also zwei Jahre vor den Wettbewerben der O.R.T.F. in Paris.

Dieser erste Gitarrenwettbewerb überhaupt brachte einiges an Prominenz der damaligen Generation von Komponisten und Gitarristen zusammen. So waren neben Andrés Segovia und Henri Gagnebin auch Hans Haug, Hermann Leeb, José de Azpiazu, Luise Walker und Alexandre Tansman anwesend (siehe Foto). Die Anforderungen des Wettbewerbes waren hoch. Zu den Pflichtstücken gehörte u. a. das «Chansons» aus dem Zyklus Gagnebins und das Concerto für Gitarre und Orchester des Schweizer Komponisten Pierre Wissmer.5)

Luise Walker erinnert sich, dass der damals 15-jährige John Williams am Wettbewerb teilnahm.6) Gewinner des Wettbewerbes war Manuel Cubedo.

Frank Martin (1890 – 1974)
Quatre pièces brèves (1933)

1993 erschien in der amerikanischen Gitarrenzeitschrift «Soundboard» der «Guitar Foundation of America» ein Artikel von Jan J. de Kloe über die «Quatre pièces brèves».7) Maria Martin, die Witwe von Frank Martin, bezeichnet diesen Artikel als den bis jetzt umfassendsten über diese Stücke. Ich möchte einige Auszüge daraus hier zusammenfassen und noch etwas ergänzen.

Die 1933 entstandenen «Quatre pièces brèves» sind das einzige Werk für Sologitarre von Frank Martin. Daneben hat Martin die Gitarre noch in einigen anderen Kammermusikwerken verwendet. Es sind dies «Quant n’ont assez fait do-do» (1947) für Tenor, Gitarre und Klavier vierhändig, «Drey Minnelieder» (1960) für Sopran und Klavier (von Martin selber für Flöte und Gitarre bearbeitet) und «Poèmes de la mort» (1971) für drei Männerstimmen und drei elektrische Gitarren.

1933 lebten sowohl Andrés Segovia als Frank Martin in Genf. Es ist unklar, ob Segovia Martin um ein Stück gebeten hat, oder ob die Initiative für die «Quatre pièces brèves» von Martin kam. Sicher ist, dass Martin von Segovia Kompositionen von Castelnuovo-Tedesco erhielt, um zu zeigen, wie man für Gitarre schreiben kann. Martin jedoch hat keine Vorlage benützt, um seine Stücke zu schreiben; vielmehr hat er selber mit Hilfe einer Gitarre die Stücke komponiert. Martin schrieb mit Bleistift ein erstes Manuskript, wovon er danach verschiedene Fassungen komponierte. Zuerst liess Martin Segovia eine Abschrift zukommen. Dieser hat hierauf jedoch nie reagiert. Eine zufällige Begegnung zwischen Martin und Segovia in der rue de la Corratarie wurde von Segovia mit einem kurzen «au revoir» abgetan.1) Martin war durch das Ausbleiben einer Reaktion Segovias verunsichert und vermutete, seine Stücke seien unspielbar. Im gleichen Jahr noch schrieb er eine Fassung für Klavier mit folgendem Titel: «’GUITARE’-Suite pour le Piano (portrait d’ Andrés Segovia) (été 1933)». Der mit Martin befreundete Dirigent Ernest Ansermet regte ihn an, eine Fassung für Orchester zu schreiben; diese wurde 1934 uraufgeführt. Martin ging die Gitarrenfassung jedoch nicht aus dem Kopf. 1938 komponierte er eine neue Version der «Quatre pièces brèves» für den Zürcher Gitarristen Hermann Leeb, der das Stück auch spielte. Dies hat Segovia veranlasst, bei Martin um eine neue Version nachzufragen, weil er seine eigene Abschrift verloren hatte. Martin jedoch, enttäuscht wie er war, lehnte ab. Somit haben wir keine Vergleichsmöglichkeit zwischen dem allerersten Bleistiftmanuskript und der Version, die er danach Segovia gegeben hatte. Die Leeb-Version befindet sich bei der Paul Sacher Stiftung in Basel.

1950 bekam José de Azpiazu auf Empfehlung Segovias eine Lehrstelle am Genfer Konservatorium.8) 1951 gab Martin ein weiteres Manuskript der «Quatre pièces brèves» an Jean-Marc Pasche, Leiter der Musikabteilung von Radio Genève (heute Radio Suisse Romande), mit der Bitte, diese neue Fassung José de Azpiazu zu übergeben; dieser sollte eine Aufnahme der Stücke machen. Azpiazu schrieb sich von Martins Vorlage im Juni 1951 eine eigene Fassung und machte davon am 30. Juli desselben Jahres eine Aufnahme.8) Anschliessend gab er Martins handschriftliches Manuskript an Radio Genève zurück, wo später auch dieses verloren ging. Azpiazu kopierte darauf seine eigene Fassung der «Quatre pièces brèves». Es ist diese Abschrift, die Martin anschliessend zurückerhielt.

1955 wurde von Martin noch eine weitere Abschrift für eine Veröffentlichung angefertigt. Es war Karl Scheit, der die «Quatre pièces brèves» 1959 bei der Universal Edition in Wien herausgab, Azpiazu wurde als Herausgeber abgelehnt. Jeder, der die Ausgabe von UE kennt und sie mit der Leeb-Version vergleicht, könnte meinen, dass Scheit für die vielen Änderungen der Ausgabe verantwortlich ist. Dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr ist die Fassung Azpiazus aus dem Jahr 1951 fast identisch mit dem letzten Manuskript, das Martin 1955 an die UE geschickt hat.

Bald nachdem die Ausgabe der «Quatre pièces brèves» erschienen war, spielte Julian Bream die Musik in seinen Konzerten.1) Der Komponist wohnte einigen dieser Konzerte in Amsterdam bei. 1966 machte Bream die Ersteinspielung der «Quatre pièces brèves» auf Schallplatte. Seither wird dieses Werk von vielen Interpreten als eines der wichtigsten Gitarren-Werke der Zwischenkriegszeit betrachtet.

Bream bemühte sich anschliessend, Martin mit einer weiteren Komposition für Sologitarre zu beauftragen. Er sagt dazu folgendes:

«Natürlich kann ich jetzt zurückblickend sagen, dass es mir nie gelungen ist, einige der besten Komponisten früh genug dazu zu bewegen, für Gitarre zu schreiben. Ein Komponist, den ich sehr bewundere, ist der Schweizer Komponist Frank Martin. Ich habe ihn sogar einmal in seinem Haus in der Nähe von Amsterdam besucht. Am Ende hatte ich genug Mut zusammengerafft um ihn zu beauftragen, ein neues Stück zu komponieren, und er hat den Auftrag gerne angenommen. Aber er war schon etwa 80. Nicht lange danach besuchte er ein Rezital von mir in Luzern. Es war eine Matinee, (siehe Foto) und nachher spazierten wir den See entlang und diskutierten das neue Werk, er auf Französisch und ich auf Englisch. Dennoch verstanden wir einander vollkommen. Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Er starb ein paar Monate später…».9)

Henri Gagnebin (1886 – 1977)
Trois pièces à Andrés Segovia (1953)

Henri Gagnebin wurde 1886 in Lüttich (Belgien) als Kind einer Pfarrersfamilie aus dem Berner Jura geboren. 1892 zog die Familie zurück in die Schweiz. Gagnebin studierte Orgel, Komposition und Orchestrierung, u. a. bei Vincent d’ Indy und Joseph Lauber (letzterer war später auch Martins Kompositionslehrer). Von 1925 bis 1957 war Gagnebin Direktor des Genfer Konservatoriums. Sein Œuvre besteht unter anderem aus vier Symphonien, Oratorien, Werken für Orgel und Klavier sowie Streichquartetten. Neben den «Trois pièces à Andrés Segovia» existiert unter dem Titel «Eglogue» noch eine Komposition für Klarinette oder Violine und Gitarre.10)

Bedeutend ist der Freundeskreis Gagnebins, den er während seiner Jahre als Direktor des Genfer Konservatoriums aufgebaut hat. Zuerst ist hier die enge Freundschaft mit Frank Martin zu erwähnen. Gagnebin hegte eine tiefe Bewunderung für Martin. Über längere Zeit trafen sie sich wöchentlich. Zwischen 1939 und 1944 wohnten sie sogar gemeinsam im gleichen Haus, 16 Cours des Bastions, Martin im vierten, Gagnebin im ersten Stock.

Aber auch Musikerpersönlichkeiten wie Mstislav Rostropovich, Arthur Rubinstein, Ernest Ansermet oder Andrés Segovia gehörten zu seinem Bekanntenkreis. Henri Gagnebin wird von vielen Zeitgenossen als ein Mann mit grossem Gefühl für Humor beschrieben. In Anspielung auf die französische Redeweise «Chacun sa Chacune» kommentierte er nach einem Konzert Segovias in Genf die einzigartige Interpretation von Bachs Chaconne in d-moll folgendermassen: «Chacun sa Chaconne».11)

Im März 1953 schrieb Henri Gagnebin seine «Trois pièces». Er spielte selbst keine Gitarre. Sein Werk ist weitgehend in Zusammenarbeit mit José de Azpiazu entstanden. Er war es auch, der die Stücke mit kleinen Änderungen im Notentext noch im gleichen Jahr beim Symphonia Verlag Basel unter folgendem Titel herausgab: «Trois pièces pour guitare à Andrés Segovia». Wir können davon ausgehen, dass auch Segovia bald nach der Veröffentlichung eine Kopie der ihm gewidmeten «Trois pièces» erhielt. Er schrieb in einem Brief vom 22. Februar 1954 aus New York folgendes:

Geehrter Maestro, ich schicke Ihnen diese Zeilen um Ihnen mitzuteilen, dass Ich mit Ihren schönen Kompositionen langsam vorwärts komme. Langsam aber stetig… Ich glaube sie in mein Programm für die nächste Saison einschliessen zu können. Bevor ich nach Granada reise rechne ich damit, anfang Sommer in die Schweiz zu kommen. Ich werde Sie über meine Ankunft benachrichtigen, damit Sie Ihre Stücke hören können und ihnen Ihren Segen geben. Falls ich sie vorzeitig beherrsche, werde ich Ihnen eine Tonband-Aufnahme davon zukommen lassen.12)

Im Brief von 19. September 1954 aus Assisi schrieb er:

Geehrter Maestro,

ich werde in Genf das Stück «Chansons» aus Ihrer schönen Suite spielen. Leider war es mir noch nicht möglich, die ganze Suite einzustudieren. Ich weiss nicht, ob Sie mit der Idee einverstanden sind, das «Chansons» losgelöst vom ganzen Werk zu spielen. Üblicherweise mache ich das nicht, aber ich habe den Wunsch, ein Stück von Ihnen zu spielen. Falls Sie nicht einverstanden sind, bitte ich Sie, dies Madame Giovanna Cassetti mitzuteilen.

Ich werde wahrscheinlich am 28ten in Genf ankommen und Sie sofort von meiner Ankunft benachrichtigen, damit Sie Ihr Stück anhören können. Es klingt sehr schön auf der Gitarre12).

Am 12. Oktober 1954 spielte Segovia das Stück «Chansons» von Henri Gagnebin im Théâtre de la Cour St. Pierre in Genf. 13)

Im Brief vom 17. Januar 1957 (ohne Adresse; Segovia ist auf Konzertreise durch die USA) schrieb Segovia:

Mein geehrter Maestro und Freund,

ich bereite mich auf die Neuaufnahme einer Schallplatte vor, die ich bereits gemacht hatte, aber jetzt mit neuen Stücken. Ihr «Chansons» wird darauf erscheinen. Dieses hübsche Stück wird sich gut einfügen, und ich hoffe, dass Sie die Aufnahme mögen. Sobald die Schallplatte verfügbar ist, werde ich Ihnen ein oder zwei Exemplare zukommen lassen.12)

Die Einspielung Segovias ist, soweit ich dies nachvollziehen konnte, nicht realisiert worden. 2, 11, 14)

1956 gehörte «Chansons» zu den Pflichtstücken am Wettbewerb in Genf.5) Karl Scheit vernahm aus dem Prospekt des Wettbewerbes, dass Gagnebin für die Gitarre komponiert hatte. Am 10. März 1956 schrieb er einen Brief an Gagnebin aus Wien:

«(…) Ich gebe im Verlag der Universal Edition eine Reihe «Musik für Gitarre» heraus und habe in diesem Rahmen auch zeitgenössische Musik zur Veröffentlichung gebracht. In nächster Zeit erscheint ein Werk von Frank Martin. Nun erlaube ich mir, bei Ihnen anzufragen, ob Sie Interesse daran hätten, mir eine Ihrer Gitarren-Kompositionen für diese Reihe zur Verfügung zu stellen? Ausserdem liegt mir daran, Ihnen für Ihre Bemühungen um die Gitarre zu danken und vor allem dafür, dass dieses Instrument von Ihnen nunmehr in den Genfer Wettbewerb aufgenommen wurde. Mit den besten Empfehlungen bin ich Ihr ergebener, Karl Scheit.»

Ob und wie Gagnebin auf den Brief von Scheit reagiert hat, ist mir nicht bekannt. Sicher ist, dass Karl Scheit keine Komposition Gagnebins veröffentlicht hat. 15)

Ausser dem 1965 für einen M.G. Bauer geschriebenen Stück «Eglogue» für Klarinette und Gitarre existiert gemäss Werkverzeichnis kein weiteres Stück für oder mit Gitarre. 10)

Nach dem Wettbewerb von 1956 sind die Stücke Gagnebins allmählich in Vergessenheit geraten. Nach der offensichtlich von Segovia nicht realisierten Aufnahme von «Chansons» aus den «Trois pièces», liegt hier jetzt eine Ersteinspielung des gesamten Zyklus vor.

Hans Haug (1900 – 1967)
Prélude, Tiento et Toccata (26/28 September 1961)

Hans Haug wurde am 27. Juli 1900 in Basel geboren. Er studierte Klavier und Cello am Basler Konservatorium und besuchte Kurse von Ferruccio Busoni in Zürich. Anschliessend studierte er Komposition und Direktion an der Münchner Musikhochschule. Haug war Dirigent diverser Schweizer Radio-Symphonie-Orchester. Von 1947 bis 1960 unterrichtete er Harmonielehre und Kontrapunkt am Konservatorium Lausanne.

Das kompositorische Œuvre Haugs ist sehr umfangreich. Neben seinen Kompositionen für oder mit Gitarre schrieb er Streichquartette, diverse Kammermusikwerke, Vokalmusik, Konzerte, symphonische Werke, Opern, Oratorien und Filmmusik. 16)

Im Dezember 1950 schrieb die «Accademia Musicale Chigiana» in Siena (Italien) einen Kompositionswettbewerb für Gitarre in folgenden Besetzungen aus:

  1. Concertino für Gitarre und Kammerorchester
  2. Quintett für Gitarre und Streichquartett
  3. Komposition für Gitarre solo (Sonate, Suite oder Fantasie)

Es wurden 25 Kompositionen eingesandt. Die Jury stand unter dem Vorsitz von Georges Enescu; weitere Mitglieder waren u. a. Ricardo Brengola, Gaspar Cassadó und Andrés Segovia. Ein Preis für das Gitarrenquintett wurde bei der Prämierung im August 1951 nicht vergeben. Alexandre Tansman erhielt einen Preis für seine «Cavatina» für Gitarre solo, und Hans Haug wurde für sein «Concertino für Gitarre und Kammerorchester» ausgezeichnet, welches sein erstes Werk für Gitarre war. 17)

Den Gewinnern des Wettbewerbes wurde versprochen, dass die Stücke im Sommer 1952 von Segovia uraufgeführt und anschliessend bei Schott London verlegt werden. Während dieses Versprechen für die «Cavatina» von Tansman eingelöst wurde (es wurde 1952 beim Schott-Verlag herausgegeben), hat Segovia das Concertino von Haug nie gespielt, 2, 18) und das Werk wurde erst drei Jahre nach Haugs Tod 1970 als Faksimile bei der Edizioni musicali Bèrben herausgegeben. Alexandre Lagoya machte die Uraufführung zusammen mit dem Orchestre de Chambre de Lausanne.

Ermutigt durch den Preis in Siena beschäftigte Haug sich weiter mit der Gitarre. Zwischen Oktober 1953 und Januar 1954 nahm er regelmässig Gitarrenunterricht bei José de Azpiazu, um das Instrument besser kennenzulernen.19) Um diese Zeit entstand seine erste Komposition «Alba» für Sologitarre und möglicherweise auch das «Preludio», von Segovia später «Postlude» genannt. «Alba» war offensichtlich bald darauf im Besitz Segovias. Dieser erwähnte eine Komposition von Haug in seinem Brief vom 19. September 1954 aus Assisi an Gagnebin:

«Bitte beachten Sie, dass ich auch mit der Erarbeitung der andern Werke von Villa-Lobos, Tansman, Haug, Rodrigo, Torroba, Castelnuovo usw. in Verzug bin. Sie werden keine einzige Uraufführung in meinen nächsten Konzerten entdecken.»12)

«Alba» und «Postlude» wurden später von Segovia auf Schallplatte eingespielt: «Andrés Segovia with the Strings of the Quintetto Chigiana» (Decca DL 9832); die einzige Einspielung Segovias mit Werken von Haug.14)

1961 wird Haug von Segovia angefragt, um Kompositionsunterricht an der Sommerakademie in Santiago de Compostella zu erteilen.18) Es ist hier, dass Haug am 28. September 1961 sein «Prélude, Tiento et Toccata» vollendet. Die Kommunikation zwischen Haug und Segovia verlief weitgehend telefonisch, so dass vermutlich keine Briefe vorhanden sind. 18)

Zusammenarbeit von Haug mit anderen Gitarristen/Innen

Am Genfer Wettbewerb von 1956 begegnete Hans Haug zum ersten Mal Luise Walker.6) Auf Grund dieser Begegnung schrieb er 1957 seine «Fantasia pour guitare et piano», Luise Walker gewidmet. Ausserdem entstand 1963 das Stück «Capriccio pour flûte et guitare» für das Duo Werner Tripp – Konrad Ragossnig (erschienen auf Schallplatte «L’Anthologie de la guitare», RCA-Victor 440.182.) 1966 komponierte Haug noch ein «Concerto pour flûte, guitare et orchestre». Weiter verwendete Haug die Gitarre noch in folgenden Werken: «Variations sur une thème de Jacques Offenbach» für Orchester, «Don Juan à l’étranger» (Opéra comique), «Les Fous» (Opéra comique), «Justice du roi» (Tragi-comédie) und «Tag ohne Ende» (Filmmusik).

Ernst Widmer (1927 –1990)
Fünf Stücke für Gitarre (1989)

Ernst Widmer wurde 1927 in Aarau geboren. Er studierte Komposition am Konservatorium Zürich bei Willy Burkhard. Danach hat Widmer die Schweiz verlassen und sich in Brasilien niedergelassen, wo er massgeblich am Aufbau der Musikhochschule der Universität von Bahia beteiligt war. Widmer war dort Kompositions- und Klavierlehrer, später auch Direktor. Mit der Gründung der «Gruppo de Compositores da Bahia» gelang es Widmer 1966, die Musikhochschule von Bahia zu einem wichtigen Zentrum der zeitgenössischen brasilianischen Musik zu machen. Ein wichtiger Bestandteil von Widmers Œuvre sind Vokalwerke; er schrieb Liederzyklen und 40 Chorwerke a capella.20)

Ernst Widmer starb am 3. Januar 1990 in Aarau. Sein musikalischer Nachlass wird von der Ernst Widmer-Gesellschaft verwaltet. Seine Werke werden zur Zeit katalogisiert.

Als ich Ernst Widmer im Sommer 1988 an seine Adresse in Salvador Bahia schrieb, um ihn mit einer Komposition für Gitarre zu beauftragen, antwortete er am 11. September 1988 folgendermassen: «(…) Bin gerne bereit, etwas für Gitarre zu schreiben, bin da sehr beweglich. Bitte entscheiden Sie, was würde am besten einschlagen? Wo gibt es Lücken? Bin ab 1. November bis 15. Dezember in der Schweiz bei meinem Bruder». Es war November 1988 als ich Ernst Widmer in Aarau besuchte. Wir besprachen den Kompositionsauftrag. Er spielte mir einige seiner Klavierkompositionen vor, ich spielte ihm einige zeitgenössische Gitarrenstücke vor. Es schien mir, als kenne Widmer die Gitarre ausgezeichnet. Seine früheren Kompositionen für Gitarre hatte er in Bahia in Zusammenarbeit mit einem Gitarristen der dortigen Musikhochschule geschrieben. Widmer zeigte mir eine Komposition für Orchester, worin die Gitarre eine wichtige Rolle spielt. Ich hörte eine Tonbandaufnahme mit einer Aufführung dieses Werkes, worin eine ausgedehnte Kadenz für Gitarre vorkommt. Widmer hat daneben auch noch andere Werke für und mit Gitarre geschrieben.

Am 23. August 1989 bekam ich einen Brief aus Bahia, worin Widmer schreibt, «den Anforderungen bis Ende Jahr nachkommen zu können». Es ist der letzte Brief, den ich von ihm bekam. Er starb gut vier Monate später.

Im März 1990 tauchte bei der Ernst Widmer Gesellschaft in Aarau ein Ordner mit Gitarrenkompositionen auf, worin meine Visitenkarte eingeklebt war. Widmer hatte bis zu seinem Tod an diesen Stücken gearbeitet. Nur das «Con Brio» ist auf einem separaten Blatt in Reinschrift notiert worden. Die Reihenfolge im Ordner (allerdings ohne Numerierung) ist folgendermassen: «Calmo», «Vivo» (hier können wir nicht absolut sicher sein, dass der zweite Teil vom «Vivo» dazugehört. Er steht, ohne Titel, auf der folgenden Seite, obwohl auf der vorhergehenden Seite noch Platz vorhanden ist), «Ronde», «Barcarolle».

Han Jonkers

Anhang

Den Begleittext dieser CD hätte ich ohne die unschätzbare Hilfe folgender Personen, Artikel und Bücher nicht schreiben können:

  1. Gespräch mit Maria Martin-Boeke, Naarden (Niederlande)
  2. Gespräch mit Emilita Segovia, Genf (Schweiz)
  3. Bulletin du Conservatoire de Musique de Genève, November 1950.
  4. Gitarre & Laute, Nr. 2/1986
  5. Reglement des Internationalen Musikwettbewerbes 1956 in Genf
  6. Gespräch mit Luise Walker, Wien (Österreich)
  7. Jan J. de Kloe, Martin’s Quatre pièces brèves, Soundboard (Fachzeitschrift der Guitar Foundation of America), 1993
  8. Gespräch mit María Guadalupe Azpiazu, Genf (Schweiz)
  9. Tony Palmer: Julian Bream, A Life on the Road, Mac Donald & Co, London, 1982, S. 92
  10. Descendants de Henri Gagnebin, Henri Gagnebin – Chronologie de sa vie et Catalogue de ses œuvres, Le Larigot, Anières, 1986
  11. Gespräche mit François und Charles Gagnebin, Anières / Cormondrèche (Schweiz)
  12. Erst kürzlich entdeckte Briefe Segovias und Scheits, die hier zum ersten Mal auszugsweise veröffentlicht werden.
  13. Programmheft des Konzertes von Segovia, Genf 1954
  14. Graham Wade, Segovia – A Celebration of the Man and his Music, Allison & Busby, London, 1983
  15. Ausgabeverzeichnis «Musik für Gitarre von Karl Scheit», Universal Edition Wien (Österreich)
  16. ean-Louis Olivier Matthey, Hans Haug – Catalogue du fonds déposé à la Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne, Lausanne, 1970
  17. Guitar Review Nr. 13, 1952
  18. Briefwechsel zwischen Françoise Haug-Budry (Montréal, Kanada) und mir
  19. Agenda von José de Azpiazu, zur Verfügung gestellt von María Guadalupe Azpiazu
  20. Sibylle Erismann, «Klima und Eingängigkeit sind mir wichtig» (Artikel über das kompositorische Œuvre von Widmer), Neue Zürcher Zeitung 23. / 24., Mai 1992

Die Fotos wurden von folgenden Personen zur Verfügung gestellt.

Wettbewerbsjury: Françoise Haug-Budry
Frank Martin mit Julian Bream: Maria Martin-Boeke
Henri Gagnebin: François Gagnebin
Hans Haug: Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne
Ernst Widmer: Ernst Widmer-Gesellschaft, Aarau

Mein Dank geht an Eugen Notter für das kritische Durchlesen der Texte.

Folgende Institutionen haben auf grosszügige Weise die Realisierung dieser CD unterstützt:

Hans und Lina Blattner-Stiftung, Aarau
Kuratorium für die Förderung des kulturellen Lebens des Kantons Aargau
Kantonales Amt für Kultur und Sport des Kantons Solothurn
Nachkommen von Henri Gagnebin

While my Guitar was Gently Weeping

Obwohl die Gitarre in der mitteleuropäischen Musikkultur des 18.- und 19. Jahrhunderts eher eine Nebenrolle spielte – die “grossen” Komponisten der Klassik und Romantik haben wenig zur Erweiterung des Gitarrenrepertoires beigetragen – gilt sie als wichtigstes Instrument  in der Volksmusik Spaniens sowie Süd- und Nordamerikas. Die von der spanischen und lateinamerikanischen Volksmusik inspirierten Komponisten schrieben die Musik, die für viele als die typische klassische Gitarrenmusik gilt.

Die von der nordamerikanischen Volksmusik beinflusste Gitarrenmusik findet im traditionellen klassischen Gitarrenrepertoire bis heute relativ wenig Beachtung. Dies, obwohl die Gitarre auch in der nordamerikanischen Volksmusik eine ähnliche Stellung einnimmt wie in der Volksmusik Spaniens und Südamerikas. Gründe hierfür sind möglicherweise darin zu finden, dass die Volksmusik Nordamerikas aus Jazz-, Blues- und Countrymusik besteht. Bereiche, die nicht zum “klassischen” Musikbereich gehören. Ein weiterer Grund dürfte darin liegen, dass in der nordamerikanischen Volksmusik im wesentlichen die stahlsaitige Gitarre, später auch  die Elektro-Gitarre und nicht die sonst übliche darm- bzw. nylonsaitige Gitarre benützt wird.

Die eingespielte Werke auf dieser CD stammen aus den sechziger- und frühen siebziger Jahren, einer Zeit  in der die USA politisch wie kulturell ihre kreativste Periode der Nachkriegsgeschichte erlebte. Mit einer Ausnahme stammen alle Werke dieser CD von europäischen Komponisten, die sich direkt oder indirekt von der Ausstrahlung dieser Kultur inspirieren liessen. Auch die Musik von Gruppen wie The Beatles oder Pink Floyd ist von der amerikanischen Musik beeinflusst. Auf diese Art ist eine gegenseitige Beeinflussung afroamerikanischer mit europäischer Musik entstanden. In diesem multikulturellen Umfeld ist die Gitarre ein verbindendes Medium!

I was driving across the burning desert

When I spotted six jet planes

Leaving six white vapor trails across the bleak terrain

It was the hexagram of the heavens

It was the strings of my guitar…

Joni Mitchell, 1976

Die USA,  das andere Mutterland der Gitarre

Alle Arten stahlsaitiger Gitarren sind amerikanischen Ursprungs und wurden Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt. Die grosse Nachfrage nach Gitarren brachte viele europäische Gitarrenbauer, vor allem aus Deutschland, dazu nach Amerika auszuwandern. Die darmsaitige Gitarre war schon früher sehr beliebt, auch Benjamin Franklin (1706-1790) spielte sie. Eine der ältesten Gitarrenschulen, die in den USA gedruckt wurde, war “The Complete Instructor for the Spanish and English Guitar, Harp, Lute and Lyre” von J. Siegling, Charleston, South Carolina (1820).

Während die darmsaitige Gitarre ein beliebtes Instrument für die Damen in den Salons der grossen Städte blieb, benützten die Siedler, die in den Westen zogen, die kräftiger klingende stahlsaitige Gitarre. Es wurde das Instrument Amerikas, und die Musik entstand auf Prärien und Plantagen. Wir wissen nur wenig über die Entstehungsgeschichte der stahlsaitigen Gitarre, verfügen jedoch über sporadische Hinweise, was den Gebrauch anbelangt. Die frühesten Hinweise deuten auf die Benutzung der Gitarre durch Sklaven. Jene Sklaven, die von der Westküste Afrikas stammen, hatten eine lange Tradition in der Benützung von Saiteninstrumenten. Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang der Rabouquin, ein Saiteninstrument, das Ähnlichkeiten mit der Gitarre hatte, mit Darmsaiten besaitet war und schon Ende des 18.Jahrhunderts in den Küstenregionen Afrikas gespielt wurde. Den Sklaven wurde das Spielen von Trommeln und Hörnern verboten. Die Weissen befürchteten, dass mit diesen Instrumenten die Übermittlung von geheimen Botschaften möglich wäre. Saiteninstrumente hingegen wurden von den Sklavenhaltern als ungefährlich betrachtet.

Die stahlsaitige Gitarre wurde Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zum ersten Mal von  Gitarrenbauern in kleinen Serien hergestellt. Sie wurde als geeignetes Instrument zur Begleitung von Gesang angepriesen. Ausserdem war die Gitarre leicht transportierbar und billig. Sie wurde in allen Stilrichtungen der amerikanischen Musik benützt. In abgeschiedenen Gegenden des Südens wurde sie auch für die Begleitung von Spirituals eingesetzt.  Die zunehmende Popularität der Gitarre fiel in New Orleans mit der Entwicklung der Jazzmusik als eigenständige Musikrichtung zusammen. Die Gitarre kam aber zum ersten Mal in der Bluesmusik voll zum Einsatz. Der Country-Blues entwickelte sich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts vor allem in Georgia, Louisiana, Texas, Nord- und Süd- Carolina. Die Bluessänger suchten das geeignetste Instrument, um ihren Gesang zu begleiten und machten dabei unbewusst die gleiche Wahl wie die Zigeuner Spaniens. Auf der Gitarre kann durch das Ziehen an den Saiten die Biegsamkeit der menschlichen Stimme imitiert werden, ein Effekt der sowohl in der Blues-  als auch in der Flamencomusik eine wichtige Rolle spielt.

Auch die Countrymusik hat viel zur Popularisierung der Gitarre beigetragen. Die britischen Kolonisten begleiteten sich mit der Gitarre, zu  Balladen und Volksliedern aus England, Schottland, Irland und Wales.

Die schwarzen Sänger entwickelten ihrerseits eine eigene Tradition im Singen von Balladen, die von den Weissen beeinflusst war, während die Weissen das sogenannte “Nigger pickin” übernahmen.

So wurde die Gitarre zum Instrument für das autonome Individuum. Durch die enge Beziehung zwischen der Bluesmusik und den schnell wachsenden Kirchengemeinschaften der Methodisten und  Baptisten und die gleichzeitige Benutzung der Gitarre in der weissen Countrymusik, wuchs das Instrument zum Symbol des tugendhaften Amerikas heran. Während der fünfziger Jahre sahen die Anhänger der Folkbewegung ihre Helden als Verfechter der Menschenrechte (Woody Guthrie, Pete Seeger u.a.). Die Verbindung der Gitarre mit Protestbewegungen wurde fortgesetzt und gipfelte in den sechziger Jahren in der Entdeckung eines neuen Helden: Bob Dylan. Dylans “Blowin’ in the Wind” wurde zu dem Song, mit dem sich die Radikalen in ganz Amerika identifizierten. Dylans Songs fielen mit der Entstehung der “Civil Rights Movement” zusammen. So machte Dylan die akustische Gitarre zum wichtigsten Instrument für eine ganze Generation.  Auch die Wiederentdeckung einer alten Generation von Bluesspielern führte dazu, dass Ende der sechziger Jahre von einer “klassischen Tradition” der amerikanischen stahlsaitigen Gitarre gesprochen werden konnte.

Die Songs Bob Dylans hatten ihre Wirkung weit über die USA hinaus. Sie waren für die Beatles eine grosse Inspirationsquelle. Als die Black Power Bewegung anfing zunehmend weisse Aktivisten auszuschliessen, richteten diese  ihr Augenmerk mehr und mehr auf den Krieg in Vietnam. Im gleichen Jahr – 1968 – als die Beatles ihren Song “Revolution” schrieben und die Rolling Stones, deren Identität von der “Rhythm and Blues” bestimmt wurde, die Jugend in “Streetfighting men” zu Strassenschlachten aufriefen – “’cause summer’s here and the time is right for fighting in the street”-, fand in Chicago das “Festival of Life” statt. Tausende junger Männer verbrannten dort ihre Marschbefehle für den Vietnamkrieg und wurden von der Polizei, der Nationalgarde und den Armeetruppen durch die Strassen gehetzt und verprügelt. Von Chicago bis Berlin, von Rom bis Paris fanden in diesem Jahr Jugendrevolten statt, und es wurden anarchistische Bewegungen gegründet.  1968 war für die USA ein deprimierendes Jahr: die Ermordung von Robert Kennedy und Martin Luther King und die Eskalation des Vietnamkriegs. Dann kam 1969 Woodstock. Es sollte “Three days of Music, Peace and Love” werden, als Logo wurde ein Gitarrenhals benützt, auf dem eine weisse Taube sitzt.

Das Woodstock-Festival wird als der Höhepunkt der Flowerpowerbewegung gesehen. Zweifellos war der Auftritt des Gitarristen Jimi Hendrix eines der wichtigsten Ereignisse des Festivals. Jimi spielte auf seiner Gitarre die, durch seine lautmalerische Interpretationsweise zum Protestlied umfunktionierte, amerikanische Nationalhymne Star-Spangled Banner.  Seine kakophonische und lärmende Version, die aus dem Titel einen Abgesang auf den American Way of Life macht, wurde durch den Woodstock Film zu einer Art Hymne der Woodstock-Generation. Woodstock war der Moment der Utopie. Wer dort dabei war, spricht von dem wundervollen Gefühl, sich als einer bestimmten Generation zugehörig zu erleben. Oder wie es Songwriter-Gitarristin Joni Mitchell in ihrem Song “Woodstock” singt: “We are stardust,  we are golden,  and we’ve got to get ourselves back to the garden.” Woodstock war ein Schimmer von Freiheit, doch der Narzismus war die Kehrseite, der die sechziger Jahre überdauerte… Und Jimi Hendrix war tot. Was blieb, war die Musik!

My guitar gently weeps

because I remember guitarist-song writer

Pete Townshend saying:

“I hope I die before I get old”

(he is still living, by the way)

and I think about all those

talented American guitarists

who died so young:

Blind Lemon Jefferson (1897-1929), Blues-Guitarist (found frozen to death)

James Charles (“Jimmy”) Rodgers (1897-1933), Country-Guitarist (died of tuberculosis)

Robert Hicks (around 1900-around 1929), Ragtime-Blues-Guitarist (died of tuberculosis)

Scrapper Blackwell (1904-1962), Blues-Guitarist  (murdered)

Robert Johnson (about 1914-August 16, 1938), Mississippi Blues-Guitarist (murdered)

Charlie Christian (1919-March 2, 1942), One of the first electric-guitarists (died of tuberculosis)

James Marshall (Jimi) Hendrix (November 27, 1942-September 18, 1970) (died of an overdose of sleeping pills)

Michael (Mike) Bloomfield (1943-1981) (Died of an overdose)

Duane Allman (November 20, 1946-October 29, 1971) Guitarist in The Allman Brothers Band (died in a motorcycle accident)

Paul Kossof (September 14, 1950-March 19, 1976) (died of an overdose)

Stanley Myers: Cavatina (Theme music from “The Deerhunter”)

Bevor der englische Komponist Stanley Myers den Musikerberuf wählte, dozierte er Geschichte an der Universität von Oxford. In den sechziger Jahren begann er sich für das Theater zu interessieren und fing an Filmmusik zu komponieren. Bald wurde er zu einem der profiliertesten Filmmusikkomponisten Englands. Er komponierte Musik  für Fernsehproduktionen bis zu Hollywood Filmen. Die  Komposition Cavatina verschaffte ihm den Durchbruch, nachdem sie als Filmmusik für Michael Ciminos “The Deerhunter” bekannt geworden war.

Der Gitarrist John Williams berichtet davon, wie Stanley Myers ihm 1969 den Melodieanfang der Cavatina vorspielte, ohne dass die Komposition vollendet war. Dieser Melodieanfang wurde kurz darauf für den Film “The Walking Stick” verwendet. Williams riet dem Komponisten die Komposition mit einem Mittelteil zu ergänzen. Er spielte dieses Stück oft in Konzerten und hatte es auf Schallplatte eingespielt, lange bevor es als Filmmusik in “The Deerhunter” durch die Kinos zog und so zu einem der populärsten Gitarrenstücke dieser Zeit wurde.

Harry Sacksioni: Goofy, Scarborough Fair, Meta Sequoia

Harry Sacksioni wurde 1950 in Amsterdam geboren und fing schon im Kindesalter an Gitarre zu spielen. Schon sehr früh schrieb er seine ersten Kompositionen und war mit sechzehn Jahren Studio-Gitarrist. Er schrieb Musik für verschiedene niederländische Künstler. Mit dem Kabarettisten Herman van Veen arbeitete er zusammen, schrieb Film- und Theatermusik und etablierte sich später immer mehr als Sologitarrist.

Die drei Kompositionen auf dieser CD stammen von Sacksionis erster LP aus dem Jahr 1975. Der Name Goofy stammt von der gleichnamigen Figur aus den Zeichentrickfilmen  Walt Disneys. Das Stück wurde 1973 komponiert und hat als Basis ein Bluesmuster. Die Fassung von Scarborough Fair, die das amerikanische Duo Simon & Garfunkel einspielte, hat Sacksioni die Idee für sein Sologitarre-Arrangement dieses irischen Volkslied gegeben. Meta Sequoia, aus dem Jahre 1965, ist Sacksionis erste Komposition für Gitarre und ist von den grossen Sequoiabäumen Kaliforniens inspiriert.

Armin Schibler: The Black Guitar & Un Homme Seul

Der 1920 im schweizerischen Kreuzlingen geborene Armin Schibler studierte am Zürcher Konservatorium Komposition bei Paul Müller und Willy Burkhard. Nach anfänglichen Annäherungsversuchen an die Darmstädter Ferienkurse, wandte er sich  1953 endgültig davon ab. Drei Grunderlebnisse prägten Schiblers weiteren Weg in den fünfziger- und sechziger Jahren: Stravinsky’s “Sacre du Printemps”, Gustav Mahlers Sinfonien und die seine Schüler am Zürcher Literaturgymnasium so bewegende Jazz- und Rockmusik. Schibler, der sich auch politisch engagierte, wollte in den sechziger Jahren  die Jazz- und Rockmusik im Sinne eines “Vitalitätsschubes” in sein kompositorisches Schaffen integrieren. Er wollte Musik für die junge Generation schreiben und von ihr verstanden werden.

Schibler hat ein umfangreiches Oeuvre hinterlassen: 12 musikdramatische Werke, neun Werke für die Tanzbühne, 15 sinfonische Werke, 21 Oratorien, 16 Hörwerke (mit gesprochenen eigenen Texten), konzertante Werke für nahezu alle Instrumente sowie Kammermusik.

Armin Schibler setzte sich mit der Gitarre auseinander. Er nahm Unterricht beim Zürcher Gitarristen René Thoma. Für ihn schrieb er  zwischen 1964 und 1967 seinen, hier zum erstenmal eingespielten Zyklus “The Black Guitar” (Bearbeitungen von Negrospirituals). Weitere Werke für Gitarre waren “My Own Blues” (1966) und “Drei Leichte Blues” (1967),  beides Unterrichtsliteratur. Zwischen 1963 und 1967 entstand sein Konzertzyklus “Un Homme Seul”, der Karl Scheit gewidmet ist. Diese Komposition musste fünf Jahre warten, bis sie am 14. März 1972 von Konrad Ragossnig in Prag uraufgeführt wurde. Ein geplantes Konzert für Gitarre und Kammerorchester konnte nicht mehr realisiert werden. Armin Schibler hat in seinen Kompositionen für Gitarre versucht, eine Brücke zwischen  Jazz- und Bluesmusik und klassischer Gitarre zu schlagen.

Charlie Byrd: Three Blues for Classic Guitar

Charles L. Byrd wurde 1925 in Chuckatuck,Virginia geboren. Er studierte klassische Gitarre bei Sophokles Papas in Washington. Auf einer Tournee durch Europa begegnete Byrd dem legendären Jazzgitarristen Django Reinhardt, der ihn für Jam-Sessions einlud. Von diesem Ereignis beeindruckt, entschied sich Charlie, selbst Jazzgitarrist zu werden. Trotzdem bildete er sich auch auf der klassischen Gitarre weiter. Ein Studium in den fünfziger Jahren, bei Andrés Segovia in Siena hatte zur Folge dass er dem Plektron abschwor. So entwickelte Byrd seine eigene “Fingerstyle Guitar Jazz” auf der akustisch-spanischen Gitarre. In seinen Konzerten spielte er zu dieser Zeit sowohl Jazz- als auch  klassische Musik im gleichen Programm.

Nach der Erscheinung seiner ersten LP ging Byrd 1961 auf eine Süd-Amerika Tournee. Es war der Anfang einer lebenslangen heftigen Affäre mit Brasiliens eigener Musik: Die Bossa-Nova. Die Liebe zur Bossa-Novamusik fand seinen ersten Niederschlag in der Zusammenarbeit mit dem Saxophonisten Stan Getz. Mit ihm zusammen entstand die berühmte LP Jazz/Samba. Charlie Byrd spielte auch mit den Gitarristen Laurindo Almeida und Barney Kessel zusammen. 1973 erschien seine Gitarrenschule: “Charlie Byrd’s Melodic Method for Guitar”.

Die “Three Blues for Classic Guitar” komponierte Byrd in den späten fünfziger Jahren und widmete sie drei Freunden. Es sind drei traditionelle Blues, von unterschiedlichem Charakter. Der Erste – “Spanish Guitar Blues” – besteht aus Variationen über eine einfache Melodie im 12-Takt-Bluesmuster. Der Zweite –  “Blues for Felix” – ist eine Etüde, die auf Quartenakkorden basiert. Dieser Blues diente als Thema einer Fernsehshow von  Disc Jockey Felix Ivant. Der Dritte -“Swing ’59” – ist von der Musik Django Reinhardts beeinflusst.

I’m sitting in the railway station

Got a ticket for my destination.

On a tour of one-night stands my suitcase

and guitar in hand

And ev’ry stop is neatly planned for a poet

and a one-man band…

Paul Simon, 1966

Jacques Castérède: Deux Inventions pour Guitare

Jacques Castérède wurde 1926 in Paris geboren. Mit 17 Jahre begann er sein Musikstudium am Conservatoire National de Paris. Bei Tony Aubin und Olivier Messiaen studierte er Komposition und Analyse. 1953 gewann er den ersten Preis an einem Kompositionswettbewerb in Rom, dort blieb er anschliessend vier Jahre. In dieser Zeit komponierte er seine “Envois de Rome”: eine Sonate für Klavier und Violine, symphonische Tänze für Orchester und das “Livre de Job” für Stimme. Es folgten verschiedene Kompositionsaufträge, unter anderem vom American Wind Symphony Orchestra für das Castérède “…jusqu’à mon dernier souffle”schrieb, eine Komposition zum hundertjährigen Jubiläum der Freiheitsstatue 1988. Seit 1980 widmet er einen grossen Teil seiner Kompositionen religiösen Themen. Castérède füllt sich nicht zum dodekaphonischen Serialismus hingezogen. Sein Kompositionsstil zeichnet sich durch melodische Linien und ausdrucksvolle Rhythmen aus.  Neben seinen Aktivitäten als Komponist unterrichtete Castérède am Conservatoire National de Musique in Paris.

Die “Deux Inventions pour guitare” entstanden 1973. Die zweite Invention – Hommage aux Pink Floyd – war im gleichen Jahr Pflichtstück für den Wettbewerb am Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris. Obwohl das zweite Stück oft alleine gespielt wird, ergänzen die zwei Stücke einander  und bilden ein Ganzes.

Die Rhapsodie ist auf zwei Motiven aufgebaut; das eine – als Vorspiel konzipiert – wütend und zerreissend, formal wie ein Rezitativ, das zweite – mehr intim und melancholisch im Charakter – das andaurernd Änderungen unterzogen wird, erreicht einen Höhepunkt, in dem die Gitarre bis zu den äussersten Möglichkeiten ihrer Klangentfaltung geführt wird. Anschliessend löst sich das Ganze in einer Tonreihe auf, die den ganzen Tonumfang des Instruments ausnutzt. Am Ende erscheint wieder das erste agressive Rezitativ, abgeändert und beruhigt. Das Stück endet in einer grossen Ruhe.

Die Komposition “Hommage aux Pink Floyd” basiert auf dem Rhythmus der Nummer “Saucerful of Secrets”(1968) der Gruppe Pink Floyd. Der Basisrhythmus ist leicht abgeändert. Abgesehen vom Rhythmus gibt es keine Beziehung zwischen dieser Komposition und der Musik von Pink Floyd. Die Struktur der Komposition weist eine traditionelle dreiteilige Form auf, mit einem zweiten Thema in der Mitte. Das Stück ist tonal. Der Rhythmus ist asymetrisch und wird konstanten Änderungen unterzogen. Das Anfangsthema taucht immer wieder auf, jedesmal lauter. Das ganze Stück soll schnell gespielt werden und verlangt vom Spieler viel Kraft und Virtuosität!

Castérède schrieb noch zwei Gitarrenkonzerte, “Rhapsodie pour un jour de fête” für Gitarre und Orchester (1989) und Trois Pièces für Gitarre (1984).

John Lennon  – Paul McCartney: Because

John Lennon wurde 1940 in Liverpool geboren, formierte schon 1955 seine erste Rock ‘n Roll Gruppe “The Quarrymen” zusammen mit Paul McCartney und George Harrison. Die amerikanischen Sänger-Gitarristen Elvis Presley, Little Richard, Chuck Berry, Buddy Holly und Bob Dylan zählten zu ihren Vorbildern. Aus den Quarrymen entstand nach mehreren Mutationen 1960 “The Beatles”.

Paul McCartney wurde 1942 in Liverpool geboren und verfasste zusammen mit John Lennon die meisten Lieder des Beatles-Repertoires. Die beiden wurden zum einflussstärksten und erfolgreichsten Songschreiberduo der Rockgeschichte.

Die Beatles nahmen den Song “Because” für die LP “Abbey Road”von 1969 auf. John Lennon behauptete, er sei zu diesem Lied angeregt worden, als seine Frau Yoko Ono auf seine Bitte hin Beethovens “Mondschein Sonate” einmal rückwärts auf dem Klavier spielte.

Die Beatles sind für die Popularisierung der Gitarre in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts mitverantwortlich. Der Verkauf von Gitarren hat sich seit den sechziger Jahren vervielfacht und die Gitarre hat das Klavier als Hausinstrument weitgehend abgelöst.

Die Bearbeitung von Beatles-Songs für Gitarre hat sich seit den frühen siebziger Jahren etabliert. Zu denken ist hier an Arrangements von Leo Brouwer und Toru Takemitsu. Das hier eingespielte Arrangement von Because ist von Stanley Myers und erschien zum ersten Mal 1972 auf der LP “Changes” von John Williams.

Han Jonkers

I look at the world and I notice it’s turning

While my guitar gently weeps

With every mistake we must surely be learning

While my guitar gently weeps

George Harrison,  1968

Han Jonkers

Han Jonkers wurde 1958 in Eindhoven (Niederlande) geboren, erhielt seinen ersten Gitarrenunterricht bei Nelly de Hilster und studierte anschliessend an der Musikhochschule von Maastricht bei Hans-Lutz Niessen. Nach der Erlangung eines Lehr- und Solistendiploms erhielt Han Jonkers ein Stipendium, um während mehreren Jahren im Sommer an der Accademia Musicale Chigiana in Siena (Italien) bei Oscar Ghiglia zu studieren. Weitere Studien folgten an der Musikakademie in Basel bei Konrad Ragossnig und  Oscar Ghiglia, die er mit einem Solistendiplom abschloss.

Han Jonkers war Preisträger mehrerer Wettbewerbe (Viña del Mar, Chile,  und Maria Canals, Barcelona) und konzertiert solistisch wie auch in Kammermusikbesetzungen. Er hat mehrere Gitarrenfestivals iniziiert, musikwissenschaftliche Beiträge veröffentlicht, Workshops an Musikhochschulen im In- und Ausland gegeben und an  Sommerkursen im Rahmen der Musikfestwochen in Arosa (Schweiz) unterrichtet. Han Jonkers ist Lehrer für klassische Gitarre an der Kantonsschule in Olten und an der Höheren Pädagogischen Lehranstalt des Kantons Aargau in Zofingen.

1991 gab Han Jonkers unter dem Titel “CH-Gitarre” eine Sammlung mit zeitgenössischer Gitarrenmusik heraus (Musikedition Nepomuk 9144), 1995 erschien bei Cadenza-Records seine erste CD-Einspielung “A Swiss Homage to Andrés Segovia” (CADENZA CAD 800905). Die deutsche Fachzeitschrift Gitarre & Laute schrieb über diese CD:” Han Jonkers spielt mit feiner Delikatesse. Er kann mit den Dimensionen und Proportionen der Kompositionen hervorragend umgehen, die kleine Welt zwischen ‘laut’ und ‘leise’ auf der Gitarre richtig gestalten.”

Anhang

Den Begleittext dieser CD hätte ich ohne die unschätzbare Hilfe folgender Personen, Artikel und Bücher nicht schreiben können:

  • NZZ-Folio, Mai und Juli 1993 – Neue Zürcher Zeitung, Zürich, Schweiz.
  • Tony Palmer: All you need is love. – Grossman Publishers, New York, U.S.A., 1976.
  • Tom en Mary Evans: De gitaar van Renaissance tot Rock. –  De gooise uitgeverij, Bussum, Niederlande, 1979.
  • Percival Kirby: The Musical Instruments of the native Races of South Africa. –  London, 1934.
  • Oliver Hüttenbach: Jimi Hendrix & Co. – Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig KG, Rastatt, Deutschland, 1989.
  • Harry Graves & Siegfried Schmidt-Joos: das neue Rocklexikon. –  Rowolt, 1990.
  • Tony Russell: Encyclopedia of Rock. –  Hennerwood Publications Limited, 1983.
  • Gramophone (review of classical recordings), January, 1994.
  • John Williams: The Film Profile. –  Sony Classical GmbH, 1993.
  • Textbooklet: “Portrait of John Williams”. – CBS-Records, 1982.
  • Harry Sacksioni, gitaar. – Harlekijn muziekreeks Deel 1 – Harlekijn uitgeverij Westbroek, Niederlande 1990.
  • Gespräch mit Harry Sacksioni (Lienden, Niederlande).
  • Pierre Wenger: Armin Schibler. Der Mensch und der Komponist. – Rede anlässlich der Gedenkveranstaltung zu seinem 70. Geburtstag.
  • Armin Schibler: Das Werk 1986. – Alkun-Verlag/ Albert J. Kunzelmann, Adliswil, Schweiz 1985.
  • Gespräch mit Konrad Ragossnig (Wien, Österreich)
  • Alexander Schmitz: Jazz Gitarristen. – Oreon Verlag GmbH, D-8176 Schaftlach, 1992.
  • Maurice Summerfield: The Jazz Guitar – Ashley Mark Publishing Corp. England.
  • persönlicher Briefwechsel mit  Charlie Byrd (Annapolis, MD, USA).
  • persönlicher Briefwechsel mit Jacques Castérède ( Boulogne, France).
  • Ian Mc Donald: Revolution in the Head – The Beatles Records and the Sixties – Pimlico Publishers – Random House – London – England.

Folgende Institutionen und Personen haben auf grosszügige Weise die Realisierung dieser CD unterstützt:

Koch Berner Stiftung

Frau  Marlise Gygi – Wildegg – Schweiz.

Music from the Royal Courts of Germany

Die Musik in der Zeit der Renaissance und des Barock

Die Renaissance war zweifellos die Kunstepoche, deren Ausstrahlung den europäischen Geist am nachhaltigsten bestimmt und gelenkt hat.

Waren die Musiker im Mittelalter zumeist Heimat- und Besitzlose, die den fahrenden „Spilleute” angehörten, so entwickelte sich während dieser Epoche zum ersten Mal der Stand des Berufsmusikers. Die steigenden Ansprüche an die Qualität der musikalischen Aufführungen bei den Fürsten und Herren brachten es mit sich, dass sich der Instrumen­talist den zunehmend neuen „fremden” musikalischen Einflüssen stellen musste. Auf diese Weise wurde der Unterschied zur Musik für den Tagesbedarf des Volkes immer deutlicher. Selbst weniger begüterte Adlige hielten sich aus Repräsentationsgründen eigene „menestrels”. Mit der Gründung größerer höfischer Instrumentalensembles hatte sich auch die soziale Stellung des Musikers gehoben. Eine Entwicklung, die ihren Höhepunkt in  den Hofmusikkapellen der Barockzeit erreichen sollte.

Während der Renaissance erfuhr zudem das Virtuosentum einen ersten Aufschwung. In­ternational berühmte Instrumentalisten und Sänger fanden in ganz Europa an Fürstenhöfen als reich beschenkte Gäste Aufnahme und Existenz. Zum Bild eines jeden gebildeten „ritterlichen” Menschen gehörte das Studium der Musik!

Die vorliegenden Aufnahmen sind eine Anthologie. Eine Auswahl von Renaissance- und Barockmusik, wie sie an Deutschlands Höfen komponiert und aufgeführt wurde. Am Bei­spiel des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel unter Herzog Julius und dessen Thron­folger Herzog Heinrich Julius möchte ich diese Entwicklung der Musik, und die der  sozi­a­len Stellung der Hofmusiker, näher beleuchten. Die Geschichte der Wolfenbütteler Hof­ka­pelle ist reich dokumentiert; wirkten hier doch so namhafte Größen wie Michael Praetorius und Gregorio Huwet.

Aufstieg und Niedergang der Wolfenbütteler Hofkapelle (1571 – ca.1630)

Überall in Mittel- und Norddeutschland begünstigte die Reformation das Aufblühen bestehender Kantoreien oder deren neue Einrichtung. Jeder Fürst, der dem neuen Glauben zugetan war, machte es sich zur Pflicht, die katholische Messe durch die lutherische Li­turgie mit der ihr eigenen starken Betonung des Gemeindegesanges zu ersetzen. Im Fürs­tentum Braunschweig-Wolfenbüttel vollzog sich diese Entwicklung relativ spät, weil der Hof erst mit dem Antritt von Herzog Julius, im Jahr 1568, protestantisch wurde.

Herzog Julius  -Heinrich Julius’ Vater-  war sowohl den Künsten als auch den Wissenschaften aufgeschlossen. Die Gründung der Universität Helmstedt gilt denn auch als sein Verdienst.

Im Jahr 1571 gründete Herzog Julius die erste Wolfenbütteler Hofkapelle.

Die Bestallungsurkunden, datiert vom 26. November 1571 über Umfang und Entlohnung eines Amtsinhabers, offenbaren den sparsamen Charakter des Fürsten. Ne­ben musikali­schen Diensten wird zusätzlich die Betätigung als Kanzleischreiber verlangt. Durch diese Doppelbeamtung wurde eine Reduzierung der Hofdienerzahl erreicht.  Außer­dem hatte der Fürst dadurch die Gewissheit, nur gut ausgebildete Personen in seine Kantorei zu be­kommen. Vor Abschluss eines Dienstvertrages verlangte er von den Bewerbern einen in deutscher und lateinischer Sprache verfassten, selbst geschriebenen Lebenslauf.

Der Herzog kaufte 1571 „vier der besten Lauthen von Zittau” zu 11/2 Thalern und weitere Instrumente. Der vielversprechenden Hofkapellgründung sollte aber kein langes Leben beschieden sein. Von den Instrumentalisten ist schon drei Jahre später nirgends mehr die Rede. Der Grund dafür dürfte die bereits erwähnte Gründung der Universität Helmstedt im Jahre 1576 gewesen sein, welche eine gewaltige Mehrbelastung des Haushaltes zur  Folge hatte. Elf Jahre später, wir schreiben das Jahr 1587, entschließt sich Herzog Julius abermals, eine neue Hofkapelle einrichten zu lassen. Trotz besserer Finanzlage will er auch jetzt nur we­nig Mittel zur Verfügung stellen.

Am 2. Oktober 1587 wurde Thomas Mancinus von Schwerin als Kapellmeister mit fol­genden Aufgaben ins Amt berufen:

„…Das „fleißige” Aufwarten mit „Musica vocali et in­stru­mentali” an Sonn- und Festtagen in unserer Schlosskirche, sowie auf unseren Wunsch am Tisch in unserem Gemach, für uns und unsere Gäste…., …Die Führung über  seine Gesellen ausüben, sie  zu einem nüchternen und eingezogenen Leben anhalten, zu fleißi­gem üben und zu Schreibarbeiten verpflichten. Von Zeit zu Zeit nach Gelegenheit der Feste mit neuen Ge­sängen aufwarten, mit dem ausdrücklichen Verbot, sie ohne unser Wissen in öffentlichen Druck zu geben.. An Arbeitstagen, und wenn keine fremden Gäste bei uns sind, sollen ad­ministrative Arbeiten auf der Kanzlei verrichtet und die Verwaltung der Bibliothek über­nommen werden… Die fürstliche Tochter soll täglich eine Stunde im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet werden…”.

Auch der Unterricht der Kapellknaben lag offenbar zunächst in den Händen des Kapellmeisters, denn die Stelle des Kapellknabenpräceptors wurde erst unter Heinrich Julius eingerichtet.

Thomas Mancinus erhielt für sein Amt ein Jahresgehalt von 50 Thalern, hälftig an Weihnachten und Pfingsten, ausbezahlt. Dazu kamen: Freier Tisch, Winter- und Sommerhof­bekleidung, ein Ochse, zwei Wildschweine, je zwei Scheffel Roggen und Gersten. Noch schlechter wurden die übrigen Musiker entlohnt. Sie bekamen zwar 20 Thaler, 2 Hofkleider und den freien Tisch, erhielten aber weder Hauszinsgeld noch Deputat (Naturalien) und mussten dafür neben der Musik noch Schreibdienste leisten. Die Bestallungen der Musiker bestimmten ausdrücklich, dass der Herzog Julius auf seinen Reisen von seiner Hofkapelle zu begleiten ist, sei dies zu Land- und Kreistagen, zu Inspektionen oder zur Erholung. Im Sommer fuhr er oft mit seiner Gemahlin die Oker hinauf zu seinem Lustschloß Hedwigsburg; auch dies mit „Trompeten, Heerpauken und einer Music”.

Am 3. Mai 1589 starb Herzog Julius und wurde am 11. Juni in der Pfarreikirche „Beatae Mariae Virginis” beigesetzt.

Heinrich Julius, der älteste Sohn, wurde sein Nachfolger. Sehr an Literatur interessiert, gilt er als Schöpfer der ältesten, deutschen Prosendramen. Zusammen mit Moritz Landgraf von Hessen gehörte er zu den ersten deutschen Fürsten, die an ihren Höfen englische Theater und die dazugehörenden Schauspielern etablierten.

Als evangelischer Bischof des Fürstbistums Halberstadt war er dem lutherischen Glauben sehr zugetan. Als in Rom die Eingangsfront des Sankt Petersdoms emporwuchs, wurde in der Residenz Wolfenbüttel die Hauptkirche „Beatae Mariae Virginis” als erste bedeutende evangelische Kirche der Welt gebaut. Bauherr war Heinrich Julius. Er pflegte einen ver- schwenderischen Lebensstil und war sowohl für seine Trunksucht wie auch als Hexenver- folger bekannt. Beim Tod seines Vaters erbte er ein Vermögen von 700.000 Thalern; er selbst hinterließ Schulden in der Höhe von 1,2 Millionen Thalern!

Bald nach dem Regierungsantritt von Heinrich Julius wurde die Hofkapelle neu organisiert.

Musikalisch weniger begabten Musikern wurde gekündigt. So zum Beispiel dem Lautenisten Tobias Kuen, der noch von Heinrich Julius’ Vater eingestellt worden war. Thomas Mancinus blieb Kapellmeister und erhielt zudem bessere Anstellungsbedingungen:
das Gehalt wurde verdoppelt und die Hofkapelle wurde von neun auf zwölf Musiker aufgestockt.

1590 fuhr Heinrich Julius nach Kopenhagen, um dort Elisabeth, die Schwester des noch unmündigen Königs Christian IV von Dänemark, zu heiraten. König Christian führte während  seiner Regierung die Musik am dänischen Hof zu einzigartiger Blüte. In Kopenhagen lernte Heinrich Julius die dort weilenden englischen Komödianten und die englische Instrumentalmusik kennen. Dies hatte zur Folge, dass auch Wolfenbüttel zu einer englischen Schauspielertruppe und, in deren Gefolgschaft, auch zu englischen Musikern kam.

Am 22. Mai 1591 trat der Lautenist Gregorius Huwet von Antwerpen der Hofkapelle bei. Zunächst noch mit einem Durchschnittsgehalt und ohne Deputat versehen stieg er später zum besonders honorierten und reich beschenkten Günstling des Herzogs auf und verdiente das zweithöchste Gehalt.

Durch das Interesse für die englische Instrumentalmusik wurde Heinrich Julius auf den  Lautenisten John Dowland aufmerksam. Ihm liess er eine schriftliche Einladung zukom­men. Dieser hatte sich gerade vergeblich um eine Anstellung am Englischen Königshaus beworben und trat erst einmal eine Auslandreise an, welche ihn schlußendlich nach Rom führen sollte. Vorher wollte er aber der Einladung Heinrich Julius’ Folge leisten und so traf er im Herbst 1594 in Wolfenbüttel ein. Er wurde mit großen Ehren empfangen und Heinrich Julius versuchte vergeblich, Dowland für seinen Hof zu gewinnen.

Einige Zeit später wurden John Dowland und Gregorius Huwet nach Kassel zu Landgraf Moritz von Hessen geschickt. Heinrich Julius wollte ein fachmännisches Urteil über die Fähigkeiten der beiden Lautenisten einholen. Die genaue Datierung dieser Ereignisse ist schwierig, gab es doch zu der Zeit unterschiedliche Kalender in Europa. Sicher ist lediglich, dass der Besuch am 21. März 1595 beendet war. Ein Brief von Landgraf Moritz an Heinrich Julius berichtet über den Verlauf des Besuchs dieser beiden Lautenisten. Darin schreibt er sehr diplomatisch:

“… ich entschuldige mich, dass die beiden Musiker so lange in Kassel geblieben sind.(…)

…Dowland blieb aus eigenem Willen und griff jede Möglichkeit zu musizieren… Was ihre Kunst anbelangt, so haben wir beide Lautenisten gehört und verglichen, und obwohl wir vom ‘Lauttenschlagen’ nicht sonderlich viel verstehen, dünken sie uns doch sehr gut zu sein. Wir halten Georgius Hawitten für einen erfahrenen und versierten Lautenisten, und was muteten madrialn zu schlagen anlangt, gar perfect und wohl Passiert. Johannes Dulandt dagegen ist ein guter Komponist. Wenn Dulandt Ihren Lautenisten verkleinert undt in einigem wege solte verachtet haben, dessen beschwert undt entschuldigt er sich zum Heftigstenn…- Cassel am 21. Marty anno 1595 – Moritz Lg Hessen…”.

Ein sehr vorsichtiger und Deutlichkeit vermissender Brief, wissen wir doch aus Dowlands Überlieferungen, wie sehr Graf Moritz versucht hat, Dowland an seinem Hof zu halten. Der  Graf komponierte für Dowland sogar die auf dieser CD eingespielte Pavin und versah sie mit folgender Widmung: „Mauritius Landgravius Hessia fecit in honorem Johanni Dowlandi Anglorum Orphei”. Dowland jedoch setzte seine Reise nach Italien fort und erst auf der Rückreise sollte er sich wieder einige Zeit in Kassel aufhalten. Erst 1598 wird er eine feste Anstellung am Hof von Christian IV in Kopenhagen erhalten. Sein Jahresgehalt betrug 500 Thaler. Weder Heinrich Julius noch Landgraf Moritz von Hessen wären damals in der Lage gewesen, ein solches Gehalt bezahlen zu können.

Um so größere Mühe gab sich Heinrich Julius, um Gregorius Huwet von Antwerpen an seiner Hofkapelle halten zu können. Ihm Jahr 1595 ‘schenkt’, bzw. überläßt Heinrich Julius ihm für 1200 Thaler ein Haus in Halberstadt, auf dass er zeitlebens bei ihm bleibe. Hier wird sich Huwet auch verheiratet haben, denn er liess sich 1607 von einer gewissen Marie Uleman „propter adulterium commisum” scheiden (aus dem Tagebuch des Halberstädter Dom­dechanten Mathias v. Oppen). Dieser Ehe entsprang anscheinend der Sohn, Henricus Huwet, der sich 1611 in Helmstedt immatrikuliert hatte und dessen Pate der Herzog Heinrich Julius war. Die Existenz von Vater Gregorius ist 1614 in der Hofkapelle, obwohl kein Bedarf an Lautenisten mehr da war, noch nachweisbar. Auch 1616 wird er noch im Besoldungsregister aufgeführt.

Gregorius Huwet von Antwerpen starb wahrscheinlich im Jahr 1617.

Die Anstellung von Michael Praetorius um Neujahr 1595 schuf die Voraussetzung für die wohl höchste künstlerische Blüte der Wolfenbütteler Hofkapelle. Er wurde zunächst als Organist angestellt.

Auffällig ist die gewaltige Besoldungserhöhung um das Doppelte, die die Musiker erfuhren. So bekam Thomas Mancinus neu ein Jahresgehalt von 260 Thalern, danach folgten Huwet und Praetorius mit je 150 und die restlichen mit meist 100 Thalern. Gehälter, die sogar jene der Dresdener Hofkapelle übertrafen. Der Staatsschatz von 700.000 Thaler war denn auch bald aufgebraucht, und schon vor 1601 wurden die Gehälter nicht mehr regelmäßig ausbezahlt. Aber weil es unter den Musikern der Hofkapelle nun keine großen Wechsel mehr gab, war das erfolgreiche Arbeiten besser gewährleistet den je. In diesen letzten zehn  Lebensjahren von Heinrich Julius, also von etwa 1603 an, sah die Besetzung der Hofkapelle folgen­dermaßen aus: drei Bassisten, drei Tenoristen, drei Altisten, acht Kapellknaben, fünf Instrumentalisten, Instrumentalistenjunge, zwei Organisten und zwei Lautenisten.

Der größte musikalische Impuls ging jedoch vom Wechsel in der Leitung der Hofkapelle aus.

Der neue Hofkapellmeister hieß Michael Praetorius und trat am 7. Dezember 1604 sein Amt an. Vorgänger Thomas Mancinus wurde aus gesundheitlichen Gründen pensioniert und erhielt 200 Thaler Pensionsgeld im Jahr. Er starb zwischen Oktober 1611 und  Mai 1612.

Der Tod von Herzog Heinrich Julius am 20. Juli 1613 beschleunigte den Niedergang der Hofkapelle. Sein Nachfolger, Herzog Friedrich Ulrich, war ein Spielball in den Händen sei­ner Räte, den berüchtigten „Landdrosten”. Nicht nur die übernommene Schuldenlast, auch die zunehmende Mißwirtschaft und die verheerenden Auswirkungen des beginnenden Großen Krieges hatten zur Folge, dass, trotz Protesten seitens Michael Praetorius’, die Ausgaben und die Anzahl Musiker immer mehr eingeschränkt wurden.

Musikalisch betrachtet bricht eine neue Zeit an. Sie räumt mit alten Strukturen in der  Kapellorganisation auf und lässt die Hofmusik in neuer Form wieder aufblühen. Das Neue ist die Verselbständigung von Instrumentalmusik und Sologesang. Diese Eigenständigkeit kann sich aber erst nachdem die verheerenden Kriegsfolgen ansatzweise beseitigt waren, durchsetzen.

Michael Praetorius (Creuzburg 1571 – 1621 Wolfenbüttel)
Kapellmeister in Wolfenbüttel von 1604 – 1621

Michael Praetorius wurde 1571 in Creuzburg an der Werra (bei Eisenach) geboren. Sein Vater war strenger Lutheraner. Die Auseinandersetzungen im protestantischen Lager zwangen die Familie immer wieder zu zahlreichen Wohnungswechseln. Michael Praetorius liess sich später in verschiedenen deutschen Städten ausbilden und kam 1585 nach Frankfurt an der Oder.

Von 1595 bis zu seinem Tod im Jahr 1621 wirkte er zuerst als Organist und ab 1604 als Ka­pellmeister am Hof von Wolfenbüttel. Als systematischer Mensch nahm er ein ambiti­öses Veröffentlichungsprogramm in Angriff. Vor allem auf dem Gebiet der Kirchenmusik  ist der Katalog seiner Werke enorm umfangreich.

Praetorius starb als reicher Mann und hinterließ seinen Besitz den Bedürftigen.

1612 erschien Terpsichore, genannt nach der griechischen Muse des Tanzes. Die einzige seiner projektierten Reihen von weltlichen und instrumentalen Sammlungen wurde von     „…seines Durchleuchtigen/Hochgeborenen Fürsten und Herrn/Herrn Friedrich Ulrichen/ Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg, componiert auff fünff und vier Stimmen…” in Auftrag gegeben.

Die Titelseite verspricht „…Allerly Frantzösische Däntze und Lieder (…) wie dieselbigen von den Frantzösischen Dantzmeistern in Franckreich gespielet (…) unnd vor Fürstlichen Taffeln (…) zur recreation und ergötzung gantz wol gebraucht werden können”.

Diese Tänze wurden Praetorius von Anthoine Emeraud, dem Tanzmeister von Herzog Friedrich Ulrich, übermittelt, damit er die Melodien mehrstimmig setzen konnte. Praetorius war sich offenbar nicht sicher, ob er solche Musik ohne Bedenken veröffentlichen soll, denn er entschuldigte sich in seiner Widmung an den Herzog: Die „… Melodien und Arien, wie sie es nennen…” seien von französischen Tänzern, zugleich meistenteils sehr guten Violinisten und Lautenisten, komponiert worden, um ihre großen Herren, die Adels- und Standespersonen mit dieser musikalischen Begleitung im Tanzen zu unterweisen.

Für die meisten dieser Tänze schrieb er den Baß und die Mittelstimmen und setzte seine In­itialen M.P.C. (Michael Praetorius Creuzburg) darunter. Bei Tänzen, zu denen er die  Bass-Stimme bereits mitgeliefert bekam, verwendete er den Begriff „Incerti”(anonym)   oder wieder andere Stücke trugen das Kürzel F.C., welche auf die Autorschaft des franzö­si­schen Violinisten Pierre Francisque Caroubel schließen lassen, der sich gerade eine Zeitlang am Hof aufgehalten hatte.

An französischen Höfen pflegte man zu offiziellen Tänzen und zum Tanzunterricht mit Violinen aufzuspielen, was die Vermutung nahe legt, Praetorius habe diese Musik für Streichinstrumente komponiert. In Deutschland hingegen wurde die Musik zur Unterhaltung, bei Banketten und anderen feierlichen Anlässen aufgeführt, so dass die Instrumentierung mehr durch den Anlass und den Möglichkeiten der zur Verfügung stehenden Musikern bestimmt wurde.

1619 veröffentlicht Praetorius sein Syntagma Musicum. Schon im Titel dieser dreibändigen  Enzyklopädie dringt Praetorius’ Anliegen, die Musik als ganzheitliches System zu begreifen, deutlich durch: Syntagmen sind Sammlungen von Schriften verwandtem Inhalts.  Mit diesem Werk will er das musikalische Wissen der Zeit in seinen verschiedenen Ausformungen zusammenfassen.

Der 1. Band wendet sich in lateinischer Sprache und mit vielen Quellenangaben an die „Gelehrten Kantoren” und enthält Aufsätze aus allen Zeiten zu Themen der geistlichen und weltlichen Musik.

Im 2. Band (‘De organographia’) bilden Dispositionen berühmter Orgeln, ein umfassender Überblick über die Instrumente und Abhandlungen über Klangvorstellungen thematische Schwerpunkte. Praetorius verfaßt diesen Band in ‘…Teutscher Sprach, weil meistentheils Orgel- und Instrumentenmacher, Organisten und Instrumentisten der Lateinischen Sprach nicht kündig seyn…’ Der Anhang dieses Bandes ist mit dem Titel ‘Theatrum Instrumentorum seu Sciagraphica (Theater der Instrumente oder perspektivische Zeichnungen) versehen und ist mit seinen 42 Kupferstichseiten für die Musikinstrumentenforschung von unschätzbarer Bedeutung.

Der 3. Band behandelt sowohl musikalische Termini, Notationslehre als auch Fragen zur  Aufführungspraxis.

Der 4. Band, eine Kompositionslehre beinhaltend, erschien nicht mehr.

Moritz Landgraf von Hessen (Kassel 1572 – 1632 Kassel)
Regierungszeit 1592 – 1627

Wenn es den Begriff vom ritterlichen und gebildeten „Uomo universale” zu erfüllen gab, so traf dies ganz sicher auf  Landgraf Moritz von Hessen zu. Neben seinen Aufgaben als Regent komponierte, musizierte, dichtete und philosophierte er. Damit nicht genug schrieb er Theaterstücke, verfertigte Architekturzeichnungen und betätigte sich als praktizierender Chirurg und Alchimist. Er baute Schulen und förderte die Naturwissenschaften.

Sowohl seine Sprachkenntnisse in Französisch, Italienisch und Englisch, wie auch seine  großen, schwarzen Augen und das tiefbraunen Haar liessen ihn als einnehmende und gewinnende Persönlichkeit erscheinen. Der Engländer Edward Monings beschreibt ihn in einem Brief, datiert anno 1596, an die Countess of Warwick als: „…A perfect man (in my opi­nion), and a most perfect prince…”

Landgraf Moritz war Nachfolger seines Vaters Wilhelm IV. Er liebte die Jagd. Ein Zeu­genbericht aus dem Jahre 1595 dokumentiert, dass mit strenger Strafe zu rechnen hatte, wer sich weigerte an der Jagd teilzunehmen, um das Wild zu hetzen. Zu einer Jagd im Jahr 1591 erschienen die Männer der Gemeinden Allendorf und Verna zu spät und wurden deswegen zu je achtzig Thalern gebüßt.

Auch für seine Trunksucht war Landgraf Moritz bekannt. Diese nahm zuweilen groteske Formen an: Nach einem Besuch beim Kurfürsten von Brandenburg verließ er diesen nach zehn Tagen wieder, um mit seinem Gefolge von 3000 Reitern und Dienstpersonal, nach Spandau zu gehen. Er fand aber das Stadttor nicht! Sein, -und offensichtlich auch der seiner Untergebener-, betrunkener Zustand muss dafür verantwortlich gemacht werden. Im Jahr 1604 wurde Landgraf Moritz Kalvinist. Der Versuch, seine Untertanen zur kalvinistischen Glaubensrichtung zu bekehren, mündete fast in einen Bürgerkrieg.

Nachdem er das Vertrauen seines Volkes verloren hatte, trat er 1627 von seinem Amt zurück

Landgraf  Moritz studierte bei Georg Otto, Kasseler Kapellmeister von 1588 bis 1619, Musik. Er schrieb für seine eigene Kapelle italienische Madrigale, Villanellen und als versierter Lautenist auch Musik für dieses Instrument.

Große Verdienste erlangte er, in dem er Heinrich Schütz (1585-1672) förderte. Schütz war als Kapellknabe nach Kassel gekommen und erhielt im Jahr 1607 vom Landgrafen Moritz ein Stipendium, um bei „Maestro Giovanni Gabrieli” in Venedig studieren zu können.

Ohne Zweifel hat damals die englische Consort Music das Vorbild für die Sammlung fünfstimmiger Pavanen von Landgraf Moritz abgegeben, denn die hessischenglischen Verbindungen  waren eng. Englische Schauspieltruppen gastierten wiederholt am Kasseler Hof, und, wie bereits erwähnt, weilte auch John Dowland am Hof. Erstmals im Jahr 1595, dann das Jahr darauf und am 9. März 1598 bot ihm der Landgraf sogar eine Stelle an. Dowland ging jedoch nach Kopenhagen und an seine Stelle trat der Lautenist Richard Machin.

Erster Hoflautenist war jedoch Victor de Montbuysson. Er war es, der die landgräfliche  Tochter Elisabeth auszubilden hatte.

Landgraf Moritz und seine Hoflautenisten spielten sechs- bis zehnchörige Lauten in der Lautenstimmung der Renaissance. Dabei schienen sie eine neunchörige Laute bevorzugt zu haben. Laut einem Nachlassinventar spielte die Landgrafentochter Elisabeth auch Bandor und die vierchörige Gitarre. Überhaupt fanden auch andere Zupfinstrumente dieser Zeit am  Hof Verwendung, wie etwa die Cister, die Theorbe oder die gerade in Mode gekommene generalbasstaugliche Erzlaute.

In London erschien 1610 die von John Dowlands Sohn, Robert, zusammengestellte Ausgabe „Varietie of Lute Lessons”. In dieser Sammlung ist die auf dieser CD einge­spielte Lautenpavane des Landgrafen Moritz von Hessen zu finden. Kommentar von Robert Dowland: „Here beginneth the Pavins of which the first was made by the most magnificent and famous Prince Mauritius, Landgrave of Hessen, and from him sent to my Father, with this inscription following, and written with his GRACES owne hand: Mauritius Landgravius Hessia fecit in honorem Johanni Dowlandi Anglorum Orphei”.

Die spieltechnisch äußerst anspruchsvolle Pavane offenbart das Können zur lautenspezifischen Komposition und den Landgrafen Moritz als den, schon erwähnten, geübten Lautenspieler. Viermal verwendet er zu Beginn seiner Pavane das Lachrimaethema von John  Dowland.

Gregorius Huwet von Antwerpen (Antwerpen vor 1550 – nach 1616 Wolfenbüttel) Lautenist am Hof von Wolfenbüttel 1591 – 1614

Über die Zeit vor Wolfenbüttel wissen wir über Gregorius Huwet nichts. Erst mit der Berufung in die Hofkapelle am 22. Mai 1591 vollzog sich die oben beschriebene Laufbahn. John Dowland lobt ihn in seinem „First Booke of Songes or Ayres”(London 1597) als großes, musikalisches Talent und als freundliche Person.

Ab 1614 wurde in der Kapelle kein Lautenist mehr gebraucht. Trotzdem behielt ihn der  Kapellmeister Praetorius weiterhin, um Konzerte mit Lautenkoloraturspiel zu umrahmen.

Andere Stimmen, eine davon ist die von Diana Poulton, behaupten, dass Huwet, nachdem er zum Spielen zu alt war, von Herzog Friedrich Ulrich entlassen und in großer Armut gestorben sein soll.

Georg Friederich Händel (Halle 1685 – 1759 London)

Über Händel werde ich mich kurz fassen und nur auf Gegebenheiten im Zusammenhang mit der Sarabande eingehen.

Händels Cembalomusik geht größtenteils auf seine Jugendzeit, als er sich seiner Begabung als Instrumentalist bewußt wurde, zurück. Er spielte dem Herzog von Sachsen Weissenfels vor, worauf ihn dieser zum Musikstudium ermutigte.

1703 zog Händel nach Hamburg und wurde schon nach kurzer Zeit Kapellmeister an der  dortigen Oper.

Im Jahr 1706 unternahm Händel eine Reise nach Italien.

Von 1711 bis 1716 amtierte er als Hofkapellmeister in Hannover.

Die hier eingespielte Sarabande stammt aus der Suite IV in d-moll für Cembalo und ist vor 1706 entstanden. Die großartigen Harmonien rufen Erinnerungen an ‘La Folia’ wach.

In jüngster Zeit erlangte sie durch den Film ‘Barry Lindon’ von Stanley Kubrick, in einer zeitgemäß aufgemachten Orchesterversion, größere Bekanntheit.

Aus der Zeit seiner letzten Italienreise (1708/09) stammt die „Cantata spagnuola a voce solo e chitarra” worin die Gitarre als Continuo-, d.h. Begleitinstrument, Verwendung findet.

Esaias Reusner der Jüngere (Löwenberg in Schlesien 1636 – 1697 Berlin)

Die Musik hat als Kunstform unter dem ‘Dreißigjährigen Krieg’, dem ‘Großen’ Krieg, wohl am meisten gelitten. Die ökonomisch harten Zeiten und die geistige Verarmung brachten eine ganze Künstlergeneration zum Schweigen und legten kulturelle Entwicklungen lahm. Erst nach Ende des Krieges wuchs eine neue Generation von Musikern heran. Exponenten dieser Zeit waren Dietrich Buxtehude und Esaias Reusner der Jüngere.

Im Süden Deutschland und Österreichs orientierte man sich eher nach Venedig und Rom, während der Norden und die „protestantische” Mitte ihre Blicke nach Frankreich richteten. Esaias Reusner der Jüngere stammte aus einer Patrizierfamilie. Am 29. April 1636 erblickte er als Sohn des gleichnamigen Lautenisten Esaias Reusner, des „wohlberühmten Lautenisten” des Fürsten von Bernstadt, und Blandina Reusner das Licht der Welt. Sein Vater nahm die Erziehung seines Sohnes sehr ernst und begann schon sehr früh, diesen im Lautenspiel zu unterrichten. Damit war der Grundstein für das Werk eines der hervorragendsten deutschen Lautenkomponisten des 17. Jahrhunderts gelegt. 1645 hatte der Vater die letzte Musiksammlung für Laute in Deutschland herausgegeben. Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) zwangen Vater und Sohn, ihre  Heimat Löwenberg zu verlassen.

1646, als zehnjähriger Wunderknabe, spielte Esaias der Jüngere in Danzig der durchreisenden Königin von Polen, Maria Luisa von Gonzaga, vor.

Vater und Sohn zogen schließlich nach Breslau zum Grafen Wittenberg und Esaias, der  Zwölfjährige, diente dem Grafen zwei Jahre lang als Page.

1651 nahm Fürstin Radziwill Esaias als Kammerdiener in Dienst und liess ihn von einem uns unbekannten Musiker in Lautenspiel und Komposition weiter ausbilden. Nach drei Jahren quittierte er, von Heimweh geplagt, seinen Dienst und kehrte nach Breslau zurück, wo ihn ein Jahr später die Berufung an den Hof von Herzog Georg III. von Schlesien in Brieg erreichte. Als nach neun Jahren der Tod des Herzogs seinen Dienst beendete, hielt er sich ein Jahr in Breslau auf, bis ihn 1665 der neu regierende Herzog Christian wieder an den Hof verpflichtete. Da war es, wo er „…auf seinem Instrument vor vielen excel­liert…” hat, sodass ihn der Herzog für ein erfolgreiches Gastspiel nach Wien, zum Kaiser Leopold I, beurlaubte.

Nach dem Ableben von Herzog Christian im Jahr 1672 wirkte Esaias Reusner kurze Zeit in Leipzig. Dort unterrichtete er Laute an der Universität und an der Thomaskirche hatte er unter der Leitung des Kantors Thomas Knüpfer den Posten eines Theorbenspielers inne. Anschließend reiste er nach Berlin, um dem großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg vorzuspielen.

1674 erhielt er die Anstellung als „Cammer”-Lautenist mit dem hohen Gehalt von 300 Rtlr. Nachdem Esaias Reusner, ein von Statur aus kleiner und schwächlicher Mann, den „Dienst bis in das siebende Jahr rühmlichst versehen” hatte, starb er am 1.Mai 1697 in Berlin. Er hinterließ eine Witwe und drei kleine Söhne.

Die auf dieser CD eingespielte Paduana, aus dem ersten Suitenwerk für die Laute mit dem Titel „Delitiae Testudinis” (Erfreuliche Lautenlust), entstand in Brieg und wurde 1667 gedruckt. Mit seiner Tiefe der Empfindung und der Gediegenheit des ‘gebrochenen Stils’ überragt es weitgehend die bis anhin allein vorhandenen Lautenkomponisten aus Frankreich. Dieses Werk war das erste Buch in Deutschland seit sein Vater, mehr als zwan­zig Jahre zuvor, seine Musiksammlung für Laute veröffentlicht hatte.  Der Erfolg dieses Buches machte bald eine Neuauflage notwendig.

Sein reifstes Suitenwerk mit dem Titel „Neue Lautenfrüchte” ist in Berlin entstanden und 1676 im Druck erschienen.

Zwei weitere Jahre später folgten die in Lautensätzen gehaltenen „Hundert geistliche Melodien evangelischer Lieder”, denen eine (nicht mehr zustande gekommene) Lautenbearbeitung von Psalmen folgen sollte.

Johann Sebastian Bach (Eisenach 1685 – 1750 Leipzig)

Auf biographische Angaben über das Leben und das gewaltige Werk von J.S. Bach möchte ich an dieser Stelle verzichten und auf die einschlägige Fachliteratur verweisen. Darum beschränke ich mich mit kurzen Hinweisen auf die eingespielten Stücke sowie auf den Sinn und die Berechtigung von Transkriptionen.

Das kleine Präludium in d-moll für Laute BWV 999 (original in c-moll) dürfte während Bachs Köthener Zeit (1717 – 1723) entstanden sein. Die einzige Quelle dieses Präludiums ist eine Abschrift von Johann Peter Kellner (1705-1772) mit dem Titel „Praelude in c-moll pour la Lute di Johann Sebastian Bach”. Möglicherweise war dieses Präludium als Vorspiel zu einer Fuge gedacht, denn es schließt in der Dominanttonart A-Dur.

Die Fuge in a-moll  stammt aus der um 1720 entstandenen Sonate Nr.1 für Solovioline BWV 1001 (original in g-moll) und ist uns auch in einer zeitgenössischen Übertragung für Barocklaute bekannt. Diese finden wir bei Johann Christian Weyrauch unter dem Titel „Fuga del Signore Bach” BWV 1000 in einer 1730 erstellten Tabulaturfassung. In dieser Fassung ist die polyphone Gestaltung durch zusätzliche Stimmeneinsätze noch ergänzt, bzw. betont worden. Aus späterer Zeit stammt die Orgelbearbeitung BWV 539.

Auch Bachs sechs Suiten für Violoncello solo sind zwischen 1717 und 1723 entstanden und bilden eine Art Gegenstück zu den aus der gleichen Zeit stammenden sechs Sonaten und  Partiten für Violine solo.

Die Suite Nr.3 in A-Dur für Violoncello BWV1009 (original C-Dur) komponierte Bach für Ferdinand Christian Abel, der in der Kapelle des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen seinen Dienst als Gambist und Cellist tat.

Transkriptionen und Authentizität

Das Transkribieren von Kompositionen für andere Instrumente ist im Grunde genommen so alt wie das Komponieren selber.

Die Tänze aus ‘Terpsichore’ von Praetorius sind an sich schon Transkriptionen von Werken anderer Komponisten; hat er doch die Besetzung den Möglichkeiten und dem Instrumentarium seiner Hofkapelle angepaßt.

Bei J.S. Bach müssen wir uns die Frage stellen, wie es möglich ist, dass ein Komponist von solcher Größe Werke schreiben konnte, die auf den jeweiligen Instrumenten nur teilweise  spielbar waren. Die technischen Anforderungen, sowohl seiner Violinpartitas wie auch der Lautensuiten, sind derart hoch und komplex, dass man gleichsam von Zügen eines Arrangements reden kann. Bach selber hat die Suite Nr.5 in c-moll für Violoncello für die Laute bearbeitet und dabei die Komposition nach g-moll transponiert; eine Bearbeitung, die uns als Grundlage für die Transkriptionen anderer Cellosuiten dienen kann.

Die Konstruktion der modernen Konzertgitarre geht auf die Arbeit des spanischen Gitarrenbauers Antonio de Torres (1817-1892) zurück und ist also in dieser Form erst ungefähr Hundertfünfzig Jahre alt.

Das Transkribieren von Renaissance- und Barockmusik für die moderne Gitarre hat seit jeher Tradition. In der Art und Weise, wie die Werke in den vergangenen hundertfünfzig Jahren für die Konzertgitarre eingerichtet wurden, ist eine große Entwicklung auszumachen.

Am Anfang stehen die Bachtranskriptionen von Francesco Tarrega (1852-1909), in welchen man sehr deutlich den damaligen romantischen Zeitgeist erkennen kann. Dies kommt u.a. durch die Saitenbezeichnung, welche häufig ein warmes Vibrato fördert, sowie dem ‘Auffüllen’ bestimmter Akkorde und dem Gebrauch von Ausdrucksbezeichnungen deutlich zum Ausdruck (zur Zeit Bachs war man diesbezüglich sparsamer). In der Person Andrés Segovias fand diese Tradition des spätromantischen Zeitalters seine Ent­sprechung.

Diese Aufnahmen sollen dem neuen Verständnis von Renaissance- und Barockmusik und der heutigen Aufführungspraxis Alter Musik Rechnung tragen und in diesem Sinne ihren  Beitrag zeitgenössischer Transkriptionsauffassung leisten.

Han Jonkers

Deutsche Bearbeitung: Heinz M. Strohbach, Textatelier Bern (Schweiz)

Minsk Music - Chamber Music from Belarus

Musikalische Impressionen aus Weissrussland

Ein fast noch weisser Fleck in der Musiklandschaft: Während die baltischen Staaten musikalisch schon während der 80er Jahre auf sich aufmerksam machten und sich ehemals sowjetische Republiken wie die Ukraine oder Georgien allmählich dank einzelner Persönlichkeiten hervortaten, ist es um Weissrussland seltsam still geblieben. Das Land zwischen Polen, Baltikum, Russland und Ukraine hat zwar eine lange musikalische Tradition, aber eine vertiefte Begegnung ist immer noch wünschenswert.

Diese Begegnung freilich ist für Avantgarde-gewöhnte Ohren zunächst irritierend, denn weder ist diese Musik auf Innovation aus, noch orientiert sie sich am aktuellen Materialstand der zeitgenössischen Musik. Weissrussische KomponistInnen arbeiten gern mit Modellen aus der Musikgeschichte, aber sie tun es kaum mit jener schmerzlichen Ironie, die sich etwa beim frühen Arvo Pärt oder beim Deutschrussen Alfred Schnittke findet. Auch das sich aufbäumende Pathos des Georgiers Gija Kantscheli oder das Kitsch-Bewusstsein des Ukrainers Valentin Silvestrov ist ihnen fremd, allenfalls begegnet man solcher Verspieltheit in einigen Werke von Vyacheslav Kuznetsov. Gerade aber die auf dieser CD präsentierte Musik gibt sich kaum je vehement oder aufmüpfig. Vielmehr scheint sie sich an Vorbildern abzuarbeiten, scheint sie sich freischaufeln zu wollen, wobei viel Melancholie mitschwingt. Sie macht sich gleichsam auf den Weg. 1990 gründeten Sergey Beltiukov, Galina Gorelova, Vyacheslav Kuznetsov, Dmitry Lybin und andere die Weissrussische Gesellschaft für zeitgenössische Musik. Von dieser Musikszene ist also noch einiges zu erwarten.

Valery Karetnikov wurde 1940 in einem russischen Dorf im Südural bei Tscheljabinsk geboren und kam mit sechs nach Minsk. Zunächst arbeitete er im Minsker Traktorenwerk. Erst mit 18 Jahren begann er eine professionelle Ausbildung und studierte Komposition bei Evgeny Glebov und später bis 1970 bei P. Podkovyrov am Konservatorium. 15 Jahre lang unterrichtete er in verschiedenen russischen und weissrussischen Städten, bis er 1985 zurückkehrte. Seither lehrt er Komposition an der Weissrussischen Musikakademie Minsk. Sein Werk umfasst eine Sinfonie, 2 Klavierkonzerte, die Suite Jahreszeiten, Kammermusik, Lieder und mehr als 80 Werke für Klavier. In seiner der Tradition verpflichteten Tonsprache geht es Karetnikov um klare Formung und Farbenreichtum, so etwa in diesem dreisätzigen Quintett für Flöte und Streichquartett aus dem Jahr 2003.

Galina Gorelova ist heute eine der wichtigsten Vertreterinnen weissrussischen Komponierens. 1951 in Minsk geboren, studierte sie Komposition bei Dmitry Smolsky, einem Vorreiter weissrussischer Musik; danach war sie Assistentin bei Anatoly Bogatyrev. Von 1980–87 absolvierte sie Meisterkurse bei Yuri Fortunatov am Tschajkovsky Konservatorium in Moskau. Heute unterrichtet sie selber Komposition, Orchestermusik und Kontrapunkt an der Weissrussischen Musikakademie in Minsk. Ihr Werk umfasst mehrere Konzerte (etwa für Violine, für Balalaika, etc.), Kammermusik, Chorwerke, Liederzyklen und Klavierstücke. Sie hat auch Gelegenheitsmusik für Radio, Theater und Fernsehen geschrieben.
Sie gilt als Vertreterin eines Weissrussischen Neoromantizismus. Das wird gerade in ihrem Stück Der Star über dem Haus des Glöckners deutlich, das Elemente der Barockmusik mit Mozart und Ravel verbindet. Das Trio, komponiert 2004 für Flöte, Gitarre und Cello, umfasst drei Teile: «Die vergessene Melodie für Han» (gemeint ist der Gitarrist Han Jonkers) wird von der Gitarre geprägt und dem alten holländischen Liedchen «Cecilie». Die Flöte fügt neobarocke Fiorituren an. So erleben wir eine Idylle, die zuweilen von Modernismen gestört wird, nicht auf drastische, sondern – wie oft bei Gorelova – auf eher untergründige, aber nichtsdestoweniger sanft beunruhigende Weise.
Im zentralen Satz mit dem Titel «Der Star über dem Haus des Glöckners» singt die Flöte das Lied des Stars. Gitarre und Cellopizzicati ahmen Glockenklänge nach (die für Gorelova so wichtig sind), in der Gitarre erklingt die sentimentale Melodie einer mechanischen Drehorgel; der Glöckner hält (im Cello) einen pathetischen Monolog. So entsteht – in aller gebotenen Kürze und Knappheit – eine kleine, fast etwas melancholische Theaterszene. Im Schlusssatz «Fest der Flöte» dominiert und brilliert die Flöte. Auf witzige Weise collagiert sie Elemente der Barockmusik und vor allem zwei Zitate aus den Inventionen Johann Sebastian Bachs.

Äusserlich schon ähnlich ist das ebenfalls dreisätzige Duo Tatjanas Tag von 2001. Der weissrussische Gitarrist Valery Zhivalevsky bestellte es wie zuvor schon die Suite für Gitarre und Klavier Erinnerung an Nesvizh (2000) sowie das Konzert für Gitarre, Streichorchester und Glocken (1997). Wie in Der Star über dem Haus des Glöckners befindet sich das Titelstück in der Mitte. Im Gegensatz dazu ist freilich alle Ironie gebannt; die stilistischen Anleihen sind mit allem Ernst gesetzt.
Der erste Teil «Mein Haus ist mit der Trauer des Abends verschmolzen» ist geprägt von Schwermut über die Vergänglichkeit des Lebens und das Dahineilen der Zeit. Die Seele ist einsam, schwingt sich aber doch zu einem kurzen sehnsüchtigen Gesang im Cello auf. Der Mittelsatz, so die Komponistin, fängt die Stimmung eines frostigen Januartags ein. Für eine kurze Zeit findet die Seele Ruhe, steht sie im Einklang mit der Natur. Tatjana ist die Schutzheilige der Studenten und Studentinnen, ihr Namenstag, der 25. Januar, markiert den Beginn der Ferienzeit. Das Finale «Ich verabschiede mich am Wegrand» zitiert die erste Zeile des Gedichts «Abschied» von Federico García Lorca. Die Nähe des Tods verleiht der Musik einen tragischen Ton.

Sergey Beltiukov wurde 1956 in Bolbasovo (Region Vitebsk) geboren und begann bereits mit 6 Jahren am Klavier. Bald gewann er verschiedene Preise, worauf er eingeladen wurde, am Musikkollegium des Konservatoriums in Minsk zu studieren (1971–1975). Anschliessend besuchte er die Musikakademie und schloss seine Studien 1980 bei Grigory Scherschevsky ab. Danach studierte er bis 1989 in der Kompositionsklasse bei Evgeny Glebov. Seit 1995 arbeitet er beim Weissrussischen Radio, zuerst als Chefredaktor für das musikalische Unterhaltungsprogramm, jetzt als stellvertretender Direktor des Kulturkanals. Er schrieb fünf Sinfonien, eine Ballettmusik (Rogneda), Kantaten, Kammerund Klaviermusik sowie Musik für Film, Fernsehen und Radio.

Sein Streichquartett von 2003 umfasst drei Teile. Der erste Teil ist leichtgewichtig, während der zweite die oft schwierige Lebenswirklichkeit widerspiegelt. Der attacca sich anschliessende dritte Teil schliesslich, ein lustiges Dorffest, greift Hauptthemen des ersten wieder auf.

Dmitry Lybin, geboren 1963 in Minsk, schloss 1986 sein Studium in Musikwissenschaft an der Russischen Akademie der Musik in Moskau und 1994 in Komposition bei Dmitry Smolsky an der Weissrussischen Musikakademie Minsk ab. Seit 2001 unterrichtet er dort selber. Der Weissrussischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik diente er zunächst als Sekretär und seit 2001 als Präsident.

Die 7 kleinen Fantasien über ein Thema von Glinka entstanden 2003 im Auftrag des Minsker Streichquartetts für ein Programm mit dem Flötisten Bruno Meier und dem Gitarristen Han Jonkers. Äusserer Anlass war der 200. Geburtstag von Mikhail Glinka (1804–1856), dem Vater der russischen Musik. Das erste Thema seiner unvollendeten Bratschensonate bildete die Grundlage der Fantasien. Lybin ist von den hier vertretenen Komponisten der Avancierteste. Neue Möglichkeiten der Klangerzeugung (etwa Vierteltöne im Mittelteil) werden mit traditionellen Mitteln und einer neoromantischen Ästhetik verknüpft, was reizvolle und zuweilen schräge Kontraste ergibt.

Vsevolod Gritskevich, 1947 in Baranovichi (Region Brest) in eine Lehrerfamilie geboren, ist eine Doppelbegabung. Er ist einerseits als Toningenieur ausgebildet und arbeitete einige Jahre bei der Weissrussischen Fernsehund Radiogesellschaft. Andererseits bildete er sich zum Pianisten und Theorielehrer aus. Wichtig wurde für ihn die Begegnung mit Eduard Balsis, einem Professor am Konservatorium von Vilnius, den er als Offizier in Litauen kennenlernte und der ihn unentgeltlich unterrichtete. Seine Kompositionsstudien schloss er bei Dmitry Smolsky an der Musikakademie von Minsk ab. Gritskevich hat Kammermusik, Vokalmusik, Theatermusik, Orchestermusik und ein Klavierkonzert geschrieben. Daneben bildete er sich aber auch in Zeichnen und Malerei aus.

So erstaunt es nicht, dass sein Poem für Flöte, Violine, Viola, Gitarre und Cello von 2003 von einem Gemälde des weissrussischen Malers Ferdinand Emanuel Ruschiz (1870–1936) inspiriert wurde. «Bei der Kirche», gemalt 1899, hängt im Nationalen Kunstmuseum in Minsk und ist offenbar für die weissrussische Identität von grosser Bedeutung. Es zeigt einen Frühlingstag auf dem Dorf mit Sonnenschein und einem blauen, von vielen Wolken bevölkerten Himmel. Der Blick geht eng zwischen zwei Gebäuden hindurch auf eine anscheinend weite Landschaft mit noch kahlen Bäumen und einem tiefen Horizont. Ähnlich wechselvoll ist die oft atmosphärische, sich an klassischen und romantischen Vorbildern orientierende Musik. Vielleicht darf dieses so stimmungsvolle und dabei zwischen Sonne und Wolken, zwischen Enge und Hoffnung auch ambivalente Bild für die Verfassung Weissrusslands stehen.
Thomas Meyer

Bruno Meier
Der Schweizer Flötist Bruno Meier erhielt seine Konzertausbildung bei André Jaunet (Zürich), Marcel Moyse (Brattleboro, USA) und Peter-Lukas Graf an der Musikakademie Basel, wo er das Konzertdiplom mit Auszeichnung erwarb. Seither ist er als Pädagoge und Solist im In- und Ausland tätig.
In den letzten Jahren forschte Meier vermehrt als Musikwissenschaftler nach unbekannter Literatur für sein Instrument, was zu zahlreichen CD- und Rundfunkaufnahmen geführt hat. Nennenswert sind seine Erstaufnahmen der Flötenkonzerte von Myslivecek, Vanhal, Krommer, Rosetti, Reicha und Witt.
Seine Zusammenarbeit mit dem Prager Kammerorchester und dem Stamitz-Quartett (Gesamteinspielung der Flötenquintette von Franz Krommer) fand weltweite Beachtung. Sein Repertoire umfasst nebst den Standardwerken der Flötenliteratur Musik vergessener Komponisten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und kaum bekannte Kompositionen vom Barock bis zur Moderne.

Han Jonkers
Der niederländische Gitarrist Han Jonkers studierte an der Musikhochschule von Maastricht. Weitere Studien, die er mit dem Solistendiplom abschloss, folgten an der Musikakademie in Basel bei Konrad Ragossnig und Oscar Ghiglia. Han Jonkers ist Preisträger internationaler Wettbewerbe (1983 in Viña del Mar, Chile und 1985 Maria Canals in Barcelona, Spanien). Seit 1981 lebt er in der Schweiz. Er leitet Workshops und konzertiert regelmässig solistisch wie auch in Kammermusikbesetzungen in Europa, Südamerika und Südafrika. Han Jonkers ist Lehrbeauftragter für Gitarre an der Pädagogischen Fachhochschule des Kantons Aargau in Aarau. Beim Aarauer Musikverlag Nepomuk betreut er eine Reihe mit Gitarrenmusik. Seine CDs erschienen bei CADENZA RECORDS, BAYER-RECORDS und PAN CLASSICS und erhielten in der Presse lobende Kritiken.

Minsker Streichquartett
Das Minsker Streichquartett – das sind vier junge Musiker aus der weissrussischen Hauptstadt Minsk. Alle vier sind Absolventen der Weissrussischen Staatlichen Akademie der Musik. Bevor sie im Jahre 2000 das Minsker Streichquartett gründeten, spielten sie in den bekanntesten Musikkollektiven der Republik Belarus. Ihr Repertoire beinhaltet Werke verschiedener Epochen und Stilrichtungen, vor allem aber Kammermusik weissrussischer Komponisten und Komponistinnen. So haben sie erstmals Werke von Kim Tesakov, Dmitry Smolsky, Sergey Beltiukov und Valery Karetnikov interpretiert.

Yuri Herman, geboren 1972 in Minsk, schloss das Studium der Violine bei Anri Janpolsky ab. Anschliessend war er Dozent an der Akademie der Musik. Er ist Preisträger des Allrussischen Tanejev-Wettbewerbs für Kammermusik. Er war Konzertmeister beim Staatlichen Kammerorchester der Republik Belarus.
Alexei Vlasenko, geboren 1974 in Gorodok bei Vitebsk, schloss die Akademie der Musik in der Geigenklasse bei Lilja Umnova ab. Er spielte im Orchester der Staatlichen Musikkomödie. Vladimir Himoroda, geboren 1972 in Dzherzhinsk. Er schloss das Studium an der Akademie der Musik in der Violaklasse von Lucia Lastovka ab. Er spielte im Staatlichen Akademischen Sinfonieorchester der Republik Belarus und im Solistenensemble Klassik-Avantgarde.
Denis Skliarov, geboren 1973 in Poltava. Er studierte Cello an der Akademie der Musik bei Evgeny Feschenko. Er ist Preisträger internationaler Wettbewerbe. Er war Mitglied des «Neuen Weissrussischen Quartetts», Konzertmeister der Cellogruppe des Russisch-Amerikanischen Jugendsinfonieorchesters, ausserdem spielte er im Staatlichen Kammerorchester der Republik Belarus.

Partnerschaft Aargau–Belarus
Die Partnerschaft Aargau–Belarus ist ein interkulturelles Projekt der Abteilung Kultur im Departement Bildung, Kultur und Sport des Kantons Aargau. Sie ermöglicht den kulturellen Austausch zwischen Ost und West, sie bringt den Kanton Aargau mit Belarus in Beziehung. Bruno Meier und Han Jonkers reisten seit 1996 mehrmals nach Belarus, wo sie jeweils an der Akademie der Musik in Workshops unterrichteten und als Gastsolisten des Minsker Streichquartetts und des Solistenensembles Klassik-Avantgarde in verschiedenen Städten auftraten. Umgekehrt war seit 2001 das Minsker Streichquartett wiederholt auf Einladung des Kantons im Aargau zu Gast.

Flexible Sky – Music For Guitar & String Quartet

Joseph Haydns Streichquartette

Joseph Haydns so genannte frühe Streichquartette entstanden irgendwann in den Jahren nach 1755, noch bevor Haydn 1761 in den Dienst der Esterházy getreten war. Es waren gerade diese Werke, mit denen Haydn um das Jahr 1760 einen internationalen Ruf erlangte. Ernst Ludwig Gerber berichtet in seinem 1790 erschienen „Lexicon der Tonkünstler“ diesbezüglich über eine „allgemeine Sensation“. Haydn hat sich später von diesen frühen Quartetten distanziert; für ihn galten erst die Quartette ab Op.9 als vollwertige Kompositionen dieser Gattung.

Die frühen Quartette weisen entscheidende Unterschiede zu seinen späteren Quartetten auf. Anders als die späteren viersätzigen Streichquartette, sind die Quartette aus Op.1 & Op. 2 fünfsätzig angelegt. Bei den meisten Werken bilden zwei schnelle Sätze den Rahmen, in der Mitte steht ein langsamer Satz, der wiederum von zwei Menuetten eingefasst wird. Anders als in den späteren Quartetten, in denen alle vier Stimmen nahezu gleichberechtigt sind, dominiert in den Frühwerken eindeutig die erste Violine.

Haydns Streichquartett in E-Dur, Op. 2 Nr. 2, Hob, III:8

Obengenannte Unterschiede zu den späteren Quartetten finden wir auch bei dem hier eingespielten Quartett Op.2 Nr.2. Haydns Experimentierfreude zeigt sich hier zusätzlich in den Trioabschnitten der Menuette, die beide mit Moll-Einschüben versehen wurden. Das Trio des ersten Menuetts eröffnet mit einer fallenden Sequenz-Melodie, gefolgt von einem chromatischen Akkord-Muster, welches zum Dominantseptakkord führt. Haydn erzeugt dadurch eine überraschende Dramatik. Das zweite Menuett zeigt Haydns Begeisterung für die Bariolage (Vielfarbigkeit – das heißt hier, dass die gleiche Note in der Violine auf zwei Saiten gespielt wird.) Auch die Betonung auf dem ersten Schlag des 2. Taktes beim Menuettthema des 2. Menuetts stellt eine Besonderheit dar, welche für das Possenreissen steht, das so typisch ist für die Wiener Schule. Die zwei Menuette rahmen das wunderschöne Adagio ein, wo der Solist sogar mit kleinen Kadenzen brillieren darf – von den Musikern des 17. und 18. Jahrhunderts oft improvisiert – eine absolute Einzigartigkeit in den frühen Haydn-Quartetten.

Die Fassung für Laute, Violine, Viola & Violoncello in D-Dur

In der Staats- & Stadtbibliothek Augsburg liegt eine zeitgenössische Bearbeitung von Haydns Streichquartett in E-Dur Op. 2 Nr. 2 vor.  Diese Bearbeitung für Laute, Violine, Viola & Violoncello ist in D-Dur. Es ist uns leider unbekannt, von wem die Bearbeitung für Laute verfasst wurde. Möglicherweise kommt der in Wien lebende Lautenist Karl Kohaut (1726-1784) in Frage. Wir wissen, dass er mit Haydn bekannt war. Eine andere Möglichkeit wäre  Joachim Bernard Hagen (1697-1761) – Lautenist am Hofe in Bayreuth –, dessen eigene Musik gut in den Augsburger Manuskripten vertreten ist. Hierbei ist anzumerken, dass Haydn dieses Quartett zwischen 1755 und 1761 komponiert hat und Hagen 1761 verstorben ist.

Das Lautenquartett enthält zahlreiche Fehler, die sich in der Überlieferung des Streichquartetts allmählich eingeschlichen hatten.1 Es wurde um einen ganzen Ton hinunter transponiert, von E-Dur nach D-Dur, um der Spielbarkeit auf der Laute entgegen zu kommen. Außerdem hat der Bearbeiter die Lautenstimme in eine tiefere Oktavlage als üblich transponiert. Durch die Kombination der tieferen Tonart und der tieferen Oktavlage entsteht eine ungünstige Balance zwischen Laute und Streichern. Möglicherweise schlägt der Bearbeiteter aus diesem Grund vor, dass die Streicher in allen Sätzen con sordino spielen.2

Die Bearbeitung für Gitarre, Violine, Viola & Violoncello in D-Dur

Dieses Quartett wurde schon mehrmals für Gitarre, Violine, Bratsche & Violoncello bearbeitet. Aus vorher genannten Gründen habe ich versucht, der Stimme der ersten Violine zu folgen und diese mit Bassstimmen aus der Cellostimme zu ergänzen. Die Gitarrestimme, die nun mehr in den höheren Lagen erklingt, kann sich dadurch deutlicher von dem Streichtrio abheben, es entsteht ein filigraneres Klangbild und die Balance zwischen Gitarre und Streichern ist natürlicher.

Die Sätze des originalen Streichquartetts stehen in E-Dur, mit Ausnahme des Adagios, welches in A-Dur steht. Die Sätze der Lautenfassung stehen in D-Dur, aber das Adagio steht ebenfalls in A-Dur und ist nicht – wie es logisch wäre – nach G-Dur transponiert. In meiner Bearbeitung habe ich die Tonarten der Lautenfassung übernommen, alle Sätze in D-Dur und das Adagio in A-Dur.

Haydn und die Laute oder: Wer ist der Theorbespieler auf dem Kupferstich von Michele Benedetti?

Im Haydn Jubiläumsjahr 2009 hat die Internationale Stiftung Mozarteum (ISM) in Salzburg den unten stehenden Kupferstich ausgestellt und dazu folgende kurze Beschreibung verfasst:

Willoughby Bertie, 4th  Earl of Abingdon (1740-1799) & Joseph Haydn (London 1796).

Stich von Michele Benedetti (1745-1810) nach einem Gemälde von Jean Françis Rigaud (John Francis Rigaud) (1742-1810).  (Internationale Stiftung Mozarteum)

Abingdon war ein guter Amateurmusiker und versuchte sich auch im Komponieren. Viele der gesellschaftlichen Kontakte Haydns mit der englischen Aristokratie und mit der gebildeten Schicht kamen durch Haydns Freundschaft mit Lord Abingdon zustande. Er war Hauptinitiator der Professional Concerts und versuchte Haydn bei Salomon abzuwerben.

Aufgrund dieser Abbildung – welche übrigens auch auf der Titelseite von Karl Scheits Ausgabe von Haydns D-Dur Quartett erscheint3 – stellt sich die Frage, ob Haydn selber Laute gespielt hat und ob der Theorbespieler wirklich Haydn ist.

Über die Personen auf diesem Kupferstich hat es viele Theorien gegeben. Die wildeste Spekulation ist, dass es sich hier um Haydn (an der Theorbe) und Mozart (sitzend) handelt.4

Es gibt Reproduktionen von dem gleichen Kupferstich, wo der Name Willoughby Earl of Abingdon an die Abbildung angehängt ist, ohne dass Haydn erwähnt wird.5 Es scheint – auch gemäß anderer Publikationen – gesichert zu sein, dass die sitzende Person Lord Abingdon ist.6, 7

Der abgebildete Theorbespieler hat auf jeden Fall große Ähnlichkeiten mit Haydn.

Auch die Freundschaft Haydns mit Lord Abingdon ist dokumentiert. Der Earl of Abingdon lud Haydn 1783 nach London ein.6

Leider gibt es in den wichtigen biografischen Studien über Haydn keine Angaben darüber, ob Haydn wirklich Laute gespielt hat. Der bedeutendste Hinweis in dieser Richtung könnte eventuell sein, dass Haydn das theoretische Werk „Unterricht im Generalbass“ (1732) vom Lautenisten David Kellner (1670-1748) gekannt hat und als bedeutendes Werk bezeichnet hat.8

Der einzige dokumentierte und zuverlässige Hinweis über die Abbildung – wo der Theorbespieler auch namentlich erwähnt wird – stammt von Stephen Francis Duthil Rigaud (1777-1861). Wie erwähnt, ist der vorher abgebildete Kupferstich nach einem Gemälde von John Francis Rigaud erstellt worden. Von John Francis’ Sohn, Stephen Francis Duthil Rigaud, existiert ein Manuskript  über seinen Vater,9 worin Folgendes festgehalten wird: In the autumn of this year [1792] my Father received an invitation from the Earl of Abingdon to visit him at his seat at Rycott, where he commenced two portraits of his Lordship, one in a large family picture; the other in which he is represented in the act of composing a piece of music; with his Uncle Mr. Collins, trying the effect of it upon the Lute.

Der abgebildete Kupferstich wird immer wieder als Hinweis für die Beziehung Haydn’s zu der Laute angeführt. Aufgrund dieses Manuskripts können wir nun aber davon ausgehen, dass der Theorbespieler nicht Haydn, sondern ein gewisser Mr. Collins ist.

Die Frage, ob Joseph Haydn Laute gespielt hat oder nicht, bleibt weiterhin unbeantwortet.  

Wolfgang Muthspiel (Geb. 1965)

Der Gitarrist Wolfgang Muthspiel lebt in Wien und gilt als einer der einflussreichsten Gitarristen seiner Generation. Seine Arbeit als Bandleader und Co-Leader ist auf über 30 CDs dokumentiert, für die er den Großteil der Stücke komponierte. Als klassisch ausgebildeter Musiker hat er zur akustischen Gitarre denselben direkten Zugang wie zur Welt der Improvisation und des Jazz. Im Alter von sechs Jahren lernte Wolfgang Geige zu spielen. Mit 14 wechselte er zur Gitarre und begann zusammen mit seinem Bruder Christian eine eigene Musik zu machen. Das Interesse für improvisierte Musik führte schließlich zum Jazz. 1986 siedelte er nach Boston/Massachusetts, um sich am Berklee College bei Mick Goodrick weiterzubilden. Ab 1988 tourte er für zwei Jahre mit der Gary Burton Band. Mitte der 1990er landete er in New York, wo er bis 2002 lebte und arbeitete. Zusammen mit Rebekka Bakken arbeitete er dort an einfühlsamen Ausflügen in die Welt der Popmusik, während er mit seinem Bruder das Elektronik-Projekt Muthspiel/Muthspiel verfolgte. Als Sideman fungierte er für Trilok Gurtu, Dhafer Youssef, Youssou N’Dour, Maria Joao, Dave Liebman, Peter Erskine, Paul Motian, Bob Berg, Gary Peacock, Don Alias, Larry Grenadier, John Patitucci, Dieter Ilg, das Vienna Art Orchestra und andere. Nach 16 Jahren zog es ihn 2002 wieder nach Wien und er ist seitdem auch in Europa als Co-Leader und Sideman gefragt. 2000 gründete er das Label „Material Records“, das neben eigenen Einspielungen auch die Arbeiten anderer Künstler veröffentlicht. Nach der Europatour mit seinem neuen Quartett (2008) und dem Duo-Projekt in Zusammenarbeit mit dem Drummer Brian Blade (2008) widmete sich Wolfgang Muthspiel vermehrt dem Trio „MGT“ (Muthspiel – Grigoryan – Towner), welches seit 2008 mehrere Konzertreisen in Australien und Europa absolvierte und mit „From A Dream“ ein vielbeachtetes Album veröffentlichte. Weiter komponierte er für verschiedene Ensembles wie das Klangforum Wien, und im Haydn-Jahr 2009 ein Auftragswerk für die Stiftung Esterházy. Außerdem leitet Wolfgang Muthspiel eine Gitarrenklasse der Musikhochschule Basel. Unter seinen derzeitigen Projekten findet sich das Duo „Friendly Travelers“ mit Schlagzeuger Brian Blade, das Wolfgang Muthspiel Trio (mit der österreichischen Rhythmusgruppe der Pichler-Zwillinge), das „drumfree trio“ sowie seine Solo-Performance mit verschiedenen Gitarren und Loops.

Im Juni 2012 erschien die Einspielung des Projektes „Vienna Naked“, ein Songprogramm, das sich Muthspiel für Gitarre und Stimme geschrieben hat.

Das Gitarrentrio MGT mit Ralph Towner und Slava Grigoryan veröffentlichte 2013 die CD „Travel Guide“ auf dem renommierten Münchner Label ECM. 2014 folgte dann Muthspiels Debüt für ECM als Leader mit der Trio-Einspielung „Driftwood“. Dieses Trio mit Brian Blade und Larry Grenadier ging auf Europa-Tour und löste ein umfangreiches Medien-Echo aus. 2014 erhielt Muthspiel einen eigenen Zyklus im Konzerthaus Wien.

Neben zahlreichen „kleineren“ Auszeichnungen erhielt Wolfgang Muthspiel 1997 den Hans Koller Preis für den Musiker des Jahres und wurde 2003 zum europäischen Jazzmusiker des Jahres gekürt. Das Musicians Magazine wählte ihn unter die „Top Ten Jazz Guitarists of the World“.

www.materialrecords.com

Wolfgang Muthspiel  (Foto: Laura Pfeifer)

Flexible Sky für Gitarre & Streichquartett (1995)

1995 bekam Muthspiel den Auftrag, ein Werk für Gitarre & Streichquartett zu schreiben. Das Werk „Flexible Sky“ besteht aus vier Sätzen. Einer im aleatorischen Kontrapunkt gehaltenen „Introduktion“ folgt das elegant swingende „One more for Igor“, eine Hommage an Igor Strawinsky. In „Satz II“ wechseln sich Gitarre und Streichquartett in ihren Rollen als Protagonisten bzw. als  harmonisch raffinierter Chor ab. Mit „Laws of Perspective“ betritt das Stück eine liedhafte Welt, die von früher Malerei inspiriert ist. In „Satz IV“ entzündet Muthspiel ein lustvolles Feuerwerk: Ungerade Takte, übermäßige Sekunden und Unisono-Stellen lassen seine Vertrautheit mit der Musik des Orients erkennen. Im September 2010 hat Han Jonkers das Werk zusammen mit dem Amaryllis Quartett zum ersten Mal in der Schweiz im Rahmen des Festivals „Boswil Guitar“ gespielt.

Joseph Ignatz Schnabel (1767-1831)

Joseph Ignatz Schnabel, 24. Mai 1767 in Naumburg am Quais (Schlesien, heute Nowogrodziec, Polen) geboren und am 16. Juni 1831 in Breslau (heute Wroclaw, Polen) gestorben, war Domkapellmeister und Komponist. Schnabel, der hauptsächlich instrumental begleitete Kirchenmusik komponierte, gilt als Gründer einer speziell schlesischen Tradition, auch als Breslauer Schule bezeichnet. Schnabel war bis 1804 als Konzertmeister am Theater beschäftigt. 1805 wurde er Domkapellmeister in Breslau, später Lehrer am Königlichen Akademischen Institut für Kirchenmusik, sowie am Katholischen Lehrerseminar in Breslau. Schnabel hatte vermutlich wohl 25 Kinder, wovon einige Musiker geworden sind. Besondere Erwähnung verdient sein Bruder Johannes Michael Aloysius (1775–1842), der Klarinettist, Gitarrist und Klavierbauer war. Er wurde von seinem Vater musikalisch ausgebildet. Er führte in Breslau die Gitarre ein und erwarb sich auf diesem Instrument virtuose Fertigkeiten, was sich in einer Vielzahl von Konzerten sowie in seinem Ruf als vielgefragter Gitarrenlehrer in Breslau widerspiegelte.10 

© Copyright Universitätsbibliothek Frankfurt

Quintett in C-Dur für Gitarre & Streichquartett

Von Joseph Ignatz Schnabel ist nur ein Werk für Gitarre bekannt. Das Quintett für Gitarre & Streichquartett wird 1831 erwähnt.11 Es ist wahrscheinlich um 1825 bei C.G. Förster gedruckt worden. Ein Exemplar des Originaldrucks liegt in der Universitätsbibliothek Wroclaw (ehm. Breslau) in Polen. Das Exemplar aus Breslau stammt ursprünglich aus dem Privatbesitz des Hamburger Gitarristen Georg Meier (1865-1942). 1958 wurde das Quintett in der von Heinrich Albert betreuten Reihe „Die Gitarre in der Haus- und Kammermusik“ beim Verlag Wilhelm Zimmermann – Frankfurt am Main, veröffentlicht. Albert hat die Gitarrestimme genau wiedergegeben, die Streicherstimmen weisen jedoch viele Druckfehler auf, sodass ein Vergleich mit dem Erstdruck aus Wroclaw unbedingt notwendig ist.

Das Quintett ist Schnabels Freund Monsieur François de Holbein gewidmet. Holbein war Schauspieler, Autor und Theaterdirektor an diversen Theatern in Deutschland und Österreich. Holbein lebte von 1804 bis 1806 in Breslau.12 Aus welchem Anlass Schnabel dieses Quintett geschrieben hat ist uns unbekannt. Dieses bis heute höchst selten gespielte Werk ist zweifellos eines der ganz wenigen Kompositionsbeispiele deutscher Komponisten um die Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts für diese Besetzung. Es wurde nun zum ersten Mal auf CD eingespielt.

Han Jonkers

Anhang/Notes:
  1. Georg Feder, Joseph Haydn Werke XII/I, Frühe Streichquartette, Kritischer Bericht (G. Henle Verlag), S.67.
  2. Tim Crawford, Haydn`s Music for the Lute, Le Luth et sa musique II (Paris : Centre national de la recherche scientifique, 1984), S. 71.
  3. Doblinger GKM 32
  4. Otto Erich Deutsch, Mozart und seine Welt in zeitgenössischen Bildern (Kassel, 1961), S. 287.
  5. David van Edwards: – Lute of the Month – December 1998
  6. Derek McCulloch, “The Musical ‘Oeuvre’ of Willoughby Bertie, 4th Earl of Abingdon (1740-99),” Royal Musical Association Research Chronicle 33 (2000), S. 6
  7. Internationale Stiftung Mozarteum, Salzburg.
  8. Karl Geiringer, Haydn – A creative life in Music, 2nd Edition (Berkeley and Los Angeles: University of California Press, 1968), S.14.
  9. Stephen Francis Duthil Rigaud, Facts and Recollections of the XVIIIth century in a memoir of John Francis Rigaud, ed. W.L. Pressly (London: Walpole Society, 1984), S. 86–87. Manuskript datiert 1854.
  10. Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Kassel, Bärenreiter, XXXX
  11. Friedrich Mehwald, Biographie Herrn Joseph Ignatz Schnabel‘s (Breslau: Leuckart, 1831) .
  12. F.J. Fétis, Biographie Universelle des Musiciens (Brüssel, 1835–44), S. 357.